Wir lassen die Räder für zwei Wochen in San Luis Potosí stehen und machen einen Abstecher mit dem Bus nach Mexiko-Stadt, um Freund*innen zu besuchen und die unzähligen Museen und Pyramiden zu erkunden.
Tenochtitlán war die Hauptstadt der Aztek*innen bevor die spanischen Konquistador*innen die Stadt zerstörten und auf ihren Ruinen die heutige Hauptstadt Mexiko-Stadt erbauten. Von hier aus herrschten die Spanier*innen über das von ihnen so genannte Vizekönigreich Neuspanien, welches sich über weite Teile Mittel- und Nordamerikas erstreckte. Die Tempel mussten Kirchen weichen, die Kanäle wurden zugeschüttet und der See, welcher Tenochtitlán umgab, ausgetrocknet.
Unser Ausflug in die Hauptstadt ist auch ein Exkurs ins heutige Zentrum der Macht. Mexiko steht kurz vor den Wahlen. Neben dem Präsidentenamt sind auch die Sitze im Parlament neu zu besetzen. Zeitgleich finden in den meisten Bundesstaaten Regional- und Kommunalwahlen statt. Es gibt 18.311 Ämter zu vergeben – so viele wie noch nie zuvor. Die Wahl ist damit die größte in der Geschichte des Landes. Erstmals wurden auch unabhängige Kandidat*innen zur Präsidentschaftswahl zugelassen. Sie mussten im Vorfeld über 800.000 Unterschriften (ein Prozent der Wahlberechtigten) in mindestens 17 von 32 Bundesstaaten sammeln. Die indigene Präsidentschaftskandidatin María de Jesús Patricio Martínez (genannt Marichuy) erreichte zwar nicht die notwendige Anzahl an Unterschriften. Durch ihre Kandidatur wurden jedoch indigene Themen auf nationaler Ebene sichtbar. So regte sie Diskussionen über Landrechte, Selbstverwaltung, Gesundheitsversorgung und Bildung an. Außerdem zeigte ihre Kandidatur die Benachteiligung auf, unter welcher die indigene Bevölkerung bis heute leidet. Eine Bank verweigerte ihr ein Konto zu eröffnen, welches Voraussetzung für die Kandidatur war. Exemplarisch wurde somit deutlich, dass ein Großteil der indigenen Bevölkerung immer noch vom Bank- und damit auch vom Kreditwesen ausgeschlossen ist. Ein weiteres Beispiel waren die Unterschriften für die Kandidatur, die mit einem Smartphone registriert werden mussten. Wenngleich Mobiltelefone und mobiles Internet in weiten Teilen Mexikos auf dem Vormarsch sind, sind sie jedoch insbesondere in den ländlichen Regionen im Süden des Landes (wo Marichuy den größten Zuspruch erhielt) noch lange keine Selbstverständlichkeit.
Der Wahlkampf der etablierten Parteien dreht sich um Innere Sicherheit, den Drogenkonflikt und die Korruption im Land. Die Umfragen sehen den Präsidentschaftskandidaten Andrés Manuel López Obrador (genannt AMLO) von der linken Partei Movimiento Regeneración Nacional (Morena) weit vorn. Die „Bewegung der nationalen Erneuerung“ möchte die Regierungspartei Partido Revolucionario Institucional (PRI) ablösen. Die „Partei der institutionalisierten Revolution“ regiert Mexiko seit ihrer Gründung von 1929 bis 2000 und erneut seit 2012. Die Stimmung im Land ist angespannt. Sollte AMLO im dritten Anlauf diesmal wieder nicht gewinnen, werden Proteste und Unruhen im ganzen Land erwartet. Wir verlassen deswegen die Hauptstadt kurz vor der Wahl, steigen in den Bus nach San Luis Potosí und schwingen uns wieder auf die Räder in Richtung Huasteca Potosina.
Am Wahlsonntag radeln wir durch kleine Dörfer an den Hängen der Sierra Madre Oriental und sehen die Schlangen vor den Wahllokalen. Die Wahl scheint hier ruhig und ordnungsgemäß zu verlaufen. In anderen Wahllokalen hingegen soll es an Stimmzetteln fehlen. Doch die landesweiten Proteste bleiben aus. Bereits am frühen Abend zeichnet sich ab, dass AMLO mit großem Abstand gewinnt. In den Jubel der Anhänger*innen mischen sich jedoch auch ein paar Tränen: Am nächsten Morgen scheidet Mexiko im Achtelfinale gegen Brasilien aus der WM aus.