Haida Gwaii – Islands of the People

Totem in Old Masset

Während wir auf der Fähre nach Prince of Wales Island mit Abstand die Jüngsten waren, ist das Publikum auf dem Weg nach Haida Gwaii weitaus bunter gemischt. Von Jugendlichen, die die Fähre mit einem Kanu auf der Schulter besteigen, über Familien, die von einem Ausflug zurückkehren, bis hin zu Rentner*innen, die auf dem Festland im Krankenhaus waren, sind alle Altersgruppen vertreten. Wir merken sofort, dass wir nun das erste Mal über den offenen Ozean fahren. Bislang sind wir in der Inside Passage geschützt vor den Pazifikwinden hinter den Inseln entlang gefahren. Der Ozean war hier oft spiegelglatt. Die Hecate-Straße, die Haida Gwaii vom Festland trennt, gehört zwar auch zur Inside Passage, ist jedoch ziemlich breit und dem Wind somit ungeschützt ausgeliefert. Dementsprechend durchgeschaukelt werden wir in Skidegate an Land gespült. Wir radeln noch die acht Kilometer bis zum nächsten Zeltplatz und legen dort erst einmal einen Ruhetag ein.

Der Ruhetag hilft uns den Rhythmus der Inseln zu finden. Wir wollten eigentlich den Gwaii Haanas National Park im Süden Haida Gwaiis besuchen, aber der Park ist nur mit Boot oder Flugzeug zu erreichen und die Touren sind für diese Saison leider alle ausgebucht. Da unsere nächste Fähre erst in zwei Wochen ablegt, haben wir viel Zeit. Wir schalten einen Gang runter und lassen uns über Graham Island, die größte der rund 200 Inseln Haida Gwaiis, treiben. Auch die Autos fahren angenehm langsam auf der Insel.

Die Straße führt uns entlang der Küste durch dichte Zedern- und Fichtenwälder. Unterwegs halten wir in jedem Dorf. Wir treffen auf eine spannende Melange aus indigener Kultur, Künstler*innen und Aussteiger*innen. Wir lernen Cliff kennen, der auf Vancouver Island in einer Höhle lebte, bevor er nun auf einem Hausboot auf Haida Gwaii seinen Lebensabend verbringt. Seine Bücher (Adventures in the Dream State) werden uns auf den nächsten Kilometern digital begleiten. Uns begegnen viele granola people und jede Menge wandernde, radelnde und surfende easy going Outdoortyp*innen.

Surfer*innen am North Beach
Sonnyboy

Wir freuen uns über die Wochenmärkte, auf denen wir seit langem mal wieder frisches, lokales Gemüse (u.a. Tomaten von Jo und gelbe Zucchinis aus dem Garten) finden. An einem einsamen Küstenabschnitt taucht plötzlich mitten im Wald eine Bäckerei auf.

Die Bäckerei könnte auch im Prenzlauer Berg stehen.
Oder auch in Nordneukölln. 😉

Die Insel ist hügliger als der Prenzlauer Berg, aber es rollt sich gut. Entlang der Straßen begleiten uns Sitka-Schwarzwedelhirsche. Sie sind scheu, aber grasen trotzdem direkt an der Straße. An manchen Tagen zählen wir dreißig Tiere. Die locals erzählen uns, dass es auf einigen Inseln Haida Gwaiis bereits zu viel Wild gebe und die Pflanzen darunter leiden.

Sitka-Schwarzwedelhirschkuh
Marla beobachtet Kraniche und die obligatorischen Weißkopfseeadler.
Sandhügelkraniche

Es regnet nur noch jeden zweiten Tag. Sobald die Sonne scheint, springen wir in die Seen …

Zelten am Pure Lake

… und halten an jedem Strand.

Noch einmal schnell ins Wasser …
… und schnell wieder raus. So warm ist der Pazifik dann doch noch nicht. 😉

Die Inselgruppe lebt – wie die ganze Küstenregion und große Teile Kanadas und Alaskas – von der Natur (Forstwirtschaft, Fischfang, Bergbau) und vom Tourismus. Die Tourist*innen kommen allerdings überwiegend wegen der Natur. Es ist gar nicht so einfach hier die richtige Balance zu finden.

Balance Rock am Strand bei Skidegate

Auch die Haida leben seit jeher vom Reichtum, den die Natur hier zu bieten hat. Als jedoch die industrielle Forstwirtschaft überhand nahm, führten lokale Widerstände der Haida in den 1980er Jahren zur Gründung des Gwaii Haanas National Park, welcher seitdem von den Haida und der kanadischen Regierung gemeinsam verwaltet wird. Landrechte sind auch auf Haida Gwaii ein Konfliktthema zwischen Indigenen und Nicht-Indigenen. Um ihre Interessen durchzusetzen, haben sich die Haida bereits in den 1970er Jahren im Council of the Haida Nation organisiert.

Golden Spruce Trail bei Port Clements

Durch den Überfluss an Nahrung konnten sich die Haida schon sehr früh Künstler*innen leisten. Die Totempfähle zeugen hiervon bis heute. Da die Haida über keine Schriftsprache verfügten und die Geschichten der Totems mündlich überliefert wurden, sind nicht mehr alle Erzählungen erhalten. Ein Totempfahl hält ungefähr einhundert Jahre der Witterung stand, bevor ihn der Wald oder das Meer holt. Um die Geschichten darüber hinaus zu bewahren, werden die Totems oft kopiert.

Überall auf Haida Gwaii stehen alte und neue Totempfähle.
Viele der Totems blicken aufs Meer hinaus.

Das beeindruckende Haida Heritage Centre in Skidegate dokumentiert auch die dunklen Kapitel der Geschichte, welche als silent years in die Erzählungen der Haida eingegangen sind. Die kanadischen Geschichtsbücher werden gerade erst neu geschrieben. Wie die Indigenen überall in Amerika haben auch die Haida unter der Kolonialisierung sehr gelitten. Ein Pockenausbruch im Jahr 1862, welchem drei Viertel der Bevölkerung zum Opfer fielen, markiert den Anfang der stillen Jahre. Die Überlebenden mussten ihre Dörfer aufgeben, weil sie zu wenige waren, um sie zu bewirtschaften. So zogen sich einige Hundert Haida in zwei Dörfer zurück: Old Masset und Skidegate. Damit waren auch die sozialen Strukturen zerstört.

Haida Gwaii Museum in Kay Llnagaay (Skidegate)

Die Kolonialherren waren der Ansicht, dass die Rechte der Indigenen in Gesetzen zu regeln seien. So verbot der sogenannte Indian Act von 1884 bis 1951 den Potlatch. Da dieses traditionelle Fest des Schenkens u.a. beim Aufstellen eines Totempfahles gefeiert wird, wurden in dieser Zeit keine neuen Totems errichtet. In den stillen Jahren gingen viele Traditionen verloren. Die Kinder mussten auf sogenannte Indian Residential Schools oder Indian Day Schools gehen, wo sie lediglich auf Englisch unterrichtet wurden und das Sprechen von Haida verboten war. In den Internatsschulen wurden sie von ihren Eltern und ihrer kulturellen Umgebung getrennt. Über mehrere Generationen hinweg wurde hier versucht ganze Kulturen auszulöschen. Die letzte Residential School schloss erst 1996 und der dort betriebene physische und psychische Missbrauch wurde gerade erst von den Kirchen und der kanadischen Regierung anerkannt und aufgearbeitet.

Neben dem Museum werden alte Totems restauriert und neue geschnitzt.

Heute treffen wir auf eine vitale indigene Kultur, die fortwährend neue Totems hervorbringt und in eigenen Sprachschulen den Kindern wieder Haida beibringt. Die letzten fünfzig Muttersprachler*innen sind dabei, die Sprache digital zu konservieren, um sie der Nachwelt zu erhalten. Lebendig bleibt eine Sprache aber nur, wenn sie auch gesprochen wird. Als Ausdruck und Anerkennung dieser Revitalisierung legten die Inseln vor wenigen Jahren ihren kolonialen Namen Queen Charlotte Islands ab und wurden wieder in ihren ursprünglichen Namen umbenannt: Haida Gwaii (Islands of the People).

Wir besteigen die nächste Fähre nach Vancouver Island und tauschen für die nächsten zwei Nächte unser Zelt gegen den harten Fußboden in der Holzklasse: Kreuzfahrt mit Radfahrerbudget! 😉
Kapitän der Northern Expedition
Haawa, danke, Haida Gwaii, dass wir in Deine Inselwelt eintauchen durften.

5 Antworten auf „Haida Gwaii – Islands of the People“

  1. Hallo Ihr,
    Das läuft ja super für Euch,ich freue mich! Alles gute Euch, viel Spaß und Schwung, wir vermissen Euch; Alice will auch nach Alaska! Danke für den Weitblick! Grüße von Alice, Annie und Stefan

  2. hallo!
    ich hatte so große Lust eure Kommentare zu verstehen, dass ich eine Freudin (meine ehemalige Deutschlehrerin) gebeten habe, mir zu helfen! Ich war sehr froh, die Folge von euren Abenteuren zu entdecken.
    Ich wünsche euch viel Spaß für die Folge!
    Catherine.

  3. Ihr Lieben, heute ist Eure Totem-Postkarte – der erste Preis beim Ratespiel – eingetrudelt, passend zu den Totems der Haida. Danke dafür und für all Eure Nachrichten. Manchmal haben wir das Gefühl, wir sind in Naumburg die Mitte der Welt, vor allen wenn wir zwischen Euren Nachrichten und denen von Aaron (Himalaya) hin und her pendeln. Das lockert unseren Alltag auf. Der Saft ist nun sterilisiert und die Nüsse geerntet aber es lohnt sich nicht, alles nach Kanada zu schicken. Da muss ich mir dieses Jahr andere Abnehmer suchen. Aber Eure Berichte sind eine kleine Entschädigung. Seid behütet. Hartmut

  4. Enfin je sais me servir de l’ordi grâce à Bernard G. Je suis votre trajet, j’espère acheter un livre de votre parcours….. Je vois que vous allez bien et que les enfants sont épanouis, j’en suis très contente.
    Je pense souvent à vous et vous souhaite plein de bonnes choses
    et une bonne route pour rejoindre votre famille à San Francisco,
    surtout plein de force dans les mollets.
    Je vous embrasse très très fort…..
    une admiratrice ; Françoise méha ri….

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