Wir lassen die Schotterpiste hinter uns und radeln uns in einen regelrechten Geschwindigkeitsrausch. Binnen drei Tagen sausen wir die Cordillera Centroamericana hinab und durchqueren das kleinste Land Zentralamerikas: El Salvador.
Mit jedem Meter, den wir an Höhe verlieren, schlägt uns wärmerer Fahrtwind entgegen. Wir sind zurück im zentralamerikanischen Backofen und angesichts dessen sehr froh, die Route durch das honduranische Bergland gewählt zu haben.
El Salvador ist zwar das kleinste Land in der Region, dafür aber mit Abstand am dichtesten besiedelt. Wild zu zelten ist also keine Option. In La Union gewährt uns die Feuerwehr Unterschlupf, während wir auf unser Boot nach Nicaragua warten.
Im Gegensatz zu vielen Honduraner*innen ist die Bevölkerung El Salvadors stolz auf die eigene Geschichte. Das Bergdorf Perquín und das Kapitel der salvadorianischen Revolution lassen wir dieses Mal rechts liegen. Stattdessen diskutieren wir mit dem Feuerwehrmann Carlos über die aktuelle Politik nach dem Ende des Bürgerskrieges 1992. El Salvador ächzt genauso wie seine Nachbarländer unter den neoliberalen Reformen. Privatisierungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Energie führten dazu, dass großen Teilen der Bevölkerung der Zugang zur Grundversorgung abgeschnitten wurde. Im Zuge der Währungsreform wurde um die Jahrtausendwende der US-Dollar als zweite offizielle Landeswährung eingeführt. Die Zentralbank hat seitdem jedoch die Colones nach und nach aus dem Verkehr gezogen, sodass faktisch nur noch der US-Dollar als Zahlungsmittel übrig geblieben ist. Mit der Einführung einer harten Währung sind die Preise gestiegen, doch die Gehälter stagnieren. Seitdem kursieren in El Salvador die geflügelten Worte, dass der Lohn in Colones verdient, aber in US-Dollar ausgegeben wird.
Wir bleiben noch eine weitere Nacht bei der Feuerwehr, weil unser Kapitän Yordin auf mehr Ware warten muss, damit sich die Überfahrt nach Nicaragua für ihn lohnt. Vor den Protesten im April diesen Jahres in Nicaragua setzten hier viele Tourist*innen über den Golf von Fonseca über, um auf direkten Wege von El Salvador nach Nicaragua zu reisen und dabei Honduras zu umschiffen. Auch wir haben uns für diesen Weg entschieden, um den Verkehr auf der Panamericana in Honduras zu vermeiden. Aufgrund mangelnder Nachfrage wurde die regelmäßige Schiffsverbindung jedoch vorübergehend eingestellt – ein kleiner Vorgeschmack auf Nicaragua, wo nach den Protesten die touristische Infrastruktur komplett zusammengebrochen ist.
Doch vorher müssen wir El Salvador noch offiziell verlassen, was sich schwieriger gestaltet als erwartet. Das gemeinsame Regelwerk der CA-4-Zone fordert die Grenzbeamt*innen immer noch heraus. Eigentlich sollten in Guatemala, Honduras, El Salvador und Nicaragua die gleichen Regelungen Anwendung finden. Als uns die honduranische Grenzbeamtin bei der Einreise in ihr Land bereits drei Wochen von unserer Aufenthaltsverlängerung abgezogen hat, haben wir noch einmal ein Auge zugedrückt, da die restliche Zeit voraussichtlich ausreichen sollte, um die Grenze nach Costa Rica zu überqueren und damit das CA-4-Gebiet zu verlassen. Die salvadorianischen Grenzbeamten haben uns jedoch bei der Einreise die komplette Verlängerung, sprich 90 Tage, gestrichen oder vielmehr den Haken in ihrem Computersystem falsch gesetzt: Sie haben uns zwei Tage Aufenthalt (bis zum Ablauf der ersten 90 Tage) gewährt und die Verlängerung um weitere 90 Tage ins Kleingedruckte geschrieben. Da El Salvador an den terrestrischen Grenzübergängen keine Stempel vergibt (weil alle Nachbarländer der CA-4-Zone angehören und deren Einreisestempel ausschlaggebend sind), konnten wir die gewährte Länge unseres Aufenthalts nicht überprüfen. Bei der Ausreise poppt nun die Warnung auf dem Bildschirm des Grenzbeamten in La Union auf, dass wir die zwei Tage überschritten hätten und eine Strafe zahlen sollen. Der Beamte braucht eine ganze Weile, um den Sinn unserer Aufenthaltsverlängerung zu verstehen und fragt uns immer wieder, warum wir nicht nach den ersten 90 Tagen für einen Tag nach Belize oder Mexiko aus der CA-4-Zone ausgereist wären. Irgendwann können wir ihn davon überzeugen, dass dieses Vorgehen mit Kosten verbunden und vor allem illegal ist. An der guatemaltekisch-belizianischen Grenze verdienen die Staatsdiener*innen pro Ausländer*in ungefähr das, was die offizielle Verlängerung in der Hauptstadt kostet (200 Quetzales oder 25 US-Dollar) – nur dass es an der Grenze dafür natürlich keine Quittung gibt. Auch nachdem der Beamte im Hafen von La Union nun von den Vorteilen einer legalen Verlängerung überzeugt ist, bleibt er Gefangener des Systems und gegenüber seinem Computer ohnmächtig. Wenn er uns die Gebühr nicht berechnet, wird sie von seinem Lohn abgezogen. Was für Methoden! Er muss sich bei der Zentrale in der Hauptstadt rückversichern, die wiederum bei der Grenzkontrollstelle in den Bergen anrufen muss. Als sich nach drei Stunden Wartezeit das bürokratische Knäuel so langsam zu lösen scheint, stellt der Beamte fest, dass Marla angeblich gar nicht nach El Salvador eingereist sei. Jetzt können wir nur noch lachen. Wir warten noch eine weitere Stunde auf grünes Licht von oben und dürfen dann endlich offiziell ausreisen. Aus Kulanz bekommen wir sogar einen Stempel in unsere Pässe! 😉