La Ruta Lenca – Siguiendo la Cordillera Centroamericana

Honduras hat (nicht nur) unter Radreisenden einen schlechten Ruf. Viele Reiseradler*innen wählen deswegen die heiße, aber schnellere Route entlang der Pazifikküste durch El Salvador. Wir entscheiden uns dem honduranischen Bergland eine Chance zu geben und werden positiv überrascht.

Honduras empfängt uns mit leeren Straßen.

Wir betreten das sechste Land auf unserer Reise an einem nur mäßig frequentierten Grenzübergang in der Nähe von Copán. Unweit von hier hat vor Kurzem die Migrantenkarawane auf ihrem Weg in die USA die Grenze nach Guatemala überquert. Es war nicht die erste Karawane ihrer Art und es wird auch nicht die letzte sein. Es war jedoch die Karawane, der bislang die größte Aufmerksamkeit in den internationalen Medien zuteil wurde, sodass Donald Trump richtig Angst bekam.

Sie heißen zwar Vereinigte Staaten von Amerika und nennen sich Amerikaner*innen, vereinigen jedoch lediglich einen Bruchteil des Doppelkontinents. Wenn die Lateinamerikaner*innen an ihre Mauer klopfen, sind das für sie keine Amerikaner*innen, sondern lediglich Mexikaner*innen, wie in den USA oft alle Migrant*innen unabhängig von ihrer Herkunft bezeichnet werden. Es mag zunächst nach einem nebensächlichen Wortspiel klingen, aber Sprache ist mächtig und schafft Realitäten. Drehen wir den Spieß doch einmal um: Warum bezeichnen sich ausgewanderte US-Amerikaner*innen (und Europäer*innen gleichermaßen) nicht als Migrant*innen sondern als Expats?

Auch ohne sich in Karawanen zu vereinen, verlassen tagtäglich unzählige Honduraner*innen ihr Heimatland auf der Suche nach einem Ausweg aus der Spirale von Gewalt und Armut. Der Großteil des Exodus vollzieht sich also nicht vor den Augen der internationalen Öffentlichkeit, sondern wird totgeschwiegen. In Mexiko und Guatemala haben wir viele Menschen getroffen, die de mojado in die USA eingereist, sprich beim Überqueren des Grenzflusses Río Bravo bzw. Río Grande nass geworden sind. In den USA werden sie dann als sogenannte illegale Einwander*innen bezeichnet. Viele kehren mit gemischten Gefühlen in ihre Heimatländer zurück. Sie mussten erleben, dass die Vereinigten Staaten von Amerika doch nicht das gelobte Land sind, für das es viele halten. Den Migrant*innen begegnet dort Angst und Rassismus. Sie leben fernab ihrer Familien und es ist harte Arbeit, in einem neuen Land Fuß zu fassen. Ohne einen Aufenthaltstitel genießen sie kaum Rechte und müssen jederzeit mit ihrer Abschiebung rechnen. Trotzdem machen sich manche sogar mehrmals auf den weiten Weg al otro lado (auf die andere Seite) – viele von ihnen aus Honduras. Was ist das für ein Land, welches offensichtlich viele Menschen verlassen wollen? Wir nutzen unser Privileg, gegen den Strom radeln zu dürfen und tauchen für zwei Wochen in dieses Land ein.

Die ersten einhundert Kilometer sind eine einzige Baustelle.
Die neue Straße ist angenehm breit und eignet sich somit hervorragend zum Radeln. Die Verkehrssitten sind ein bisschen rauer als in Guatemala, aber da hier nur wenige Autos unterwegs sind, arrangieren wir uns gut miteinander.
So sieht ein Stau auf honduranischen Landstraßen aus. 😉
Kurz hinter der Grenze gehen Mika und ich zum Haarschneider, um noch mehr Gewicht zu reduzieren und weniger unter unseren Mähnen zu schwitzen – gerade noch rechtzeitig, bevor wir unser erstes Fernsehinterview in Honduras geben. 😉

In Copán Ruinas verabschieden wir uns aus der Maya-Welt. Auch nach über zwanzig besuchten Ausgrabungsstätten, verlieren die Pyramiden nicht ihren Reiz. Wenngleich Copán nicht ganz so spektakulär ist wie die verlassenen Maya-Städte El Mirador, Calakmul, Tikal oder Yaxha, so hat die Stätte doch ihren eigenen Reiz: Auf dem Gelände leben hunderte Aras.

Die riesigen Papageie fliegen in der geschützten Umgebung des Parks frei umher.
Früh übt sich, wer hoch hinaus will.

Ab sofort sind wir nun in der Welt der Lenca unterwegs, die hier in den Bergen von Honduras und in El Salvador leben. Wir müssen jedoch genauer hinsehen und zuhören, um ihre Kultur zu entdecken. Sie ist bei Weitem nicht so sichtbar und lebendig wie die indigenen Kulturen in Guatemala. Die Sprache der Lenca ist so gut wie ausgestorben. Sie haben die spanische Kolonialsprache übernommen.

Billy bringt uns mit seinem Tuk-Tuk zu den heißen Quellen in der Nähe von Gracias. Auf dem Rückweg nimmt er uns zum Mittagessen zu seinem Lieblingsstand auf dem Markt mit und erzählt uns die Geschichte seiner Stadt. Gracias ist die Hauptstadt des Departements Lempira.
Lempira war ein berühmter Lenca, der vor fünfhundert Jahren gegen die Kolonialherren kämpfte und nach dem heute die honduranische Währung benannt ist.
Bienvenidos a Gracias: Im Hintergrund ragt der Cerro Las Minas in die Wolken. Der Gipfel ist mit 2.849 Metern die höchste Erhebung in Honduras.
Die Gebirgsstraße klettert auf knapp zweitausend Meter hoch. Es ist angenehm kühl hier oben. Von Gracias radeln wir weiter nach La Esperanza, in die Geburtsstadt von Berta Cáceres.

Berta Cáceres, die vermutlich bekannteste Lenca der heutigen Zeit, setzte sich für die Rechte ihres Volkes und die Umwelt ein und wurde hierfür vor zwei Jahren in ihrem eigenen Haus ermordet. Sie kämpte gegen den Bau des Staudamms Agua Zarca, welcher die Lebensgrundlage der ansässigen Lenca bedroht. Der Konflikt war auch in den deutschen Medien präsent, weil das deutsche Unternehmen Voith Hydro (an dem auch Siemens beteiligt ist) die Turbinen für das Wasserkraftwerk liefern sollte. Die Straflosigkeit in Honduras ist hoch. Die meisten Verbrechen werden nicht geahndet. Aufgrund der großen internationalen Aufmerksamkeit wurde in diesem Fall jedoch ein umfangreicher Prozess aufgerollt, in welchem just in diesen Tagen die Urteile gesprochen wurden. Es wurden sieben Mörder und Auftraggeber des Energiekonzerns Desarrollos Energéticos (DESA) verurteilt. Der Chef des Unternehmens wartet noch in Untersuchungshaft auf seinen gesonderten Prozess. In der Urteilsverkündung wurde öffentlich, dass das Unternehmen den Mord in Auftrag gegeben hat. Mögliche Drahtzieher*innen im Hintergrund und Verbindungen zum Militär wurden jedoch nicht aufgedeckt. Immerhin wurde das Staudammprojekt vorerst eingestellt.

Graffito in La Esperanza: “Berta lebt!”

Uns begegnet die alltägliche Gewalt eines Nachts, als im Nachbarzimmer unserer Unterkunft ein blutender Mann verzweifelt nach der Polizei ruft, die kurze Zeit später erscheint und einen anderen Mann in Handschellen abführt. Die Gedanken sind auch da, wenn ein Auto mit (wie in Zentralamerika üblich) völlig verdunkelten Scheiben vorfährt, diese langsam herunter lässt und wir eine Sekunde überlegen, ob wir jetzt wohl in den Lauf einer Pistole oder die Linse einer Handykamera blicken. Der Ausdruck Fotos zu schießen gewinnt hier eine gänzlich neue Dimension. Wir radeln auf diesem sehr schmalen Grat. Wir sind wachsam und ergreifen Vorsichtmaßnahmen. So gehen wir zum Beispiel nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr ohne zwingenden Grund vor die Tür, was uns durchaus in unserer Bewegungsfreiheit einschränkt, da die Sonne bereits vor um sechs untergeht. Wir lassen uns aber auch nicht verrückt machen. Auf unserem Weg durch Honduras sammeln wir keinerlei gefährliche Erfahrungen. Im Gegenteil: Wir treffen unterwegs sehr viele freundliche Menschen, die uns auf den ersten Blick sogar aufgeschlossener begegnen als die Guatemaltek*innen.

Uns ist jedoch auch bewusst, dass wir nur einen kleinen Ausschnitt von Honduras beradeln und das Leben auf dem Lande bei Weitem ruhiger ist als in den großen Städten San Pedro Sula oder Tegucigalpa, um die wir einen weiten Bogen schlagen.

Die einzige unangenehme Erfahrung machen wir mit hinterher rufenden und pfeifenden Männern. Marilyne sammelt viele sexuell anzügliche Kommentare am Straßenrand ein, mit denen sich die Männer vor ihresgleichen profilieren. Auch auf die Gefahr hin, dieses Klischee über die Honduraner zu reproduzieren und den nicht pfeifenden Honduranern Unrecht zu tun, können wir dieses Phänomen nicht unerwähnt lassen. Dafür kassierte Marilyne zu viele unangebrachte Sprüche und Kussmünder.

Wegzuschauen ist nicht immer eine Lösung, aber schöne Aussichten bringen uns auf andere Gedanken.
Jede Aussicht hat ihre Auffahrt …
… und jede Mittagspause ihren Straßenrand.
Das honduranische Bergland ist Kaffeeland. Wir passieren unterwegs viele Kaffeeplantagen. Um unseren morgendlichen Kaffee zu bezahlen, müssen wir in Honduras aber nicht mehr verhandeln. Hier bezahlen alle den gleichen Preis. Im Gegensatz dazu galten in Guatemala oft unterschiedliche Preise für Einheimische und Tourist*innen und alles vom Kaffee, über das Busticket bis zum Hotelzimmer konnte Gegenstand von Verhandlungen werden.

Honduras entlässt uns mit einer Schotterpiste vom Feinsten. Sie ist langsam genug, um den Durchgangsverkehr abzuhalten, aber frisch glatt gezogen, sodass sie sich angenehm radeln lässt.

Langsam, aber stetig gewinnen wir an Höhe.

Wir übernachten wieder zwischen dem honduranischen und salvadorianischen Grenzposten, wo wir bereits vor sechs Jahren geschlafen haben, als wir diesen Grenzübergang mit dem Auto ausgekundschaftet haben. Die Grenzregion ist eine augenscheinlich sehr arme Gegend. Viele Einheimische besitzen hier die doppelte Staatsbürgerschaft, aber keiner der beiden Staaten fühlt sich so richtig zuständig.

Zelten im Niemandsland
Marilyne kontrolliert noch einmal ihre Bremsen, bevor wir die Cordillera Centroamericana langsam hinunter rollen.
Die Abfahrt nach El Salvador ist im gleichen schlechten Zustand wie eh und eh, aber das ist eine andere Geschichte.

Wir verlassen das Land mit gemischten Gefühlen. Honduras wird sicherlich nicht unser Lieblingsland auf dieser Reise werden, aber wir werden es trotzdem in guter Erinnerung behalten. Das Land beradelt sich weitaus besser als sein Ruf vermuten lässt.

Die frische Bergluft hat uns sehr gut getan. 🙂

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