Die Huasteca Veracruzana empfängt uns, wie uns die Huasteca Potosina entlassen hat: Mühsame Feldwege, steile Anstiege und viele nette Menschen. Uns gefällt das Radleben auf dem Lande. Wir reden über die fallenden Maispreise (umgerechnet zehn Euro pro Erntesack) und das Schulgeld (zehn Euro pro Jahr), den Opa in der Mexikanischen Revolution und das Leben in Deutschland.
Wir kommen durch Dörfer, wo die Läden nicht als solche erkenntlich sind, damit die Drogenbanden kein Schutzgeld einsammeln kommen. Wir begegnen Menschen, die in ihrem Leben noch nie Radreisende gesehen haben. Die Erwachsenen fragen uns, was wir verkaufen würden und die Kinder wollen wissen, was die Stunde im Anhänger kostet. 😉 Die Menschen fassen jedoch schnell Vertrauen zu uns. Sie laden uns des Öfteren zum Essen und Übernachten ein.
Während wir stundenlang vor uns hinradeln ohne einem Auto zu begegnen, bleibt viel Zeit zum Träumen. Wie wäre es eigentlich, wenn auf den Straßen dieser Welt nur noch Fahrräder unterwegs wären? Was auf den ersten Blick sehr unrealistisch zu sein scheint, ist bei näherer Betrachtung gar nicht so abwegig. Das Fahrrad ist älter als das Auto und wird es mit ziemlicher Sicherheit überlegen. Die Idee des Radfahrens ist einfach genial und die Menschheit wird bald einsehen, dass Autos keine nachhaltige Transportlösung sind. Wir können natürlich nicht immer und überallhin mit dem Fahrrad fahren, weil wir schwere Lasten transportieren müssen oder es eilig haben. Die Zukunft des Transportwesens liegt jedoch nicht auf der Straße, sondern in der Luft, weil sich nur so Start und Ziel auf kürzestem Wege miteinander verbinden lassen. Die Flugzeuge werden natürlich mit Sonnenenergie angetrieben und für alle, die sich den roadtrip nicht nehmen lassen wollen, gilt Schrittgeschwindigkeit auf der Autobahn. 😉
Die Nationalstraße Mex 180 holt uns kurz vor Álamo abrupt aus unseren Träumen zurück in die Realität. Die Autos und LKWs rauschen an uns vorbei. Von Solarflugzeugen fehlt jede Spur, dafür tauchen plötzlich Fercho und Pastrana mit ihren Jungs aus dem lokalen Radclub auf. Enlace Bikers México ist durch das Video von Rocío & Enrique auf uns aufmerksam geworden und hat uns angeboten, uns auf unserem Weg durch Mexiko zu begleiten. Gerade erst vor einigen Monaten gegründet, verbindet das Netzwerk bereits 46 lokale Radvereine in ganz Mexiko miteinander.
Und dann geht alles ganz schnell: Álamo begleitet uns aus der Stadt hinaus. Auf halbem Wege nach Poza Rica kommen uns die Tekno Bikers entgegen. Mitunter radeln wir im Konvoi mit zehn, fünfzehn Gleichgesinnten und einem Begleitfahrzeug, welches uns den Rücken freihält. So muss sich die Tour de Mexique anfühlen. An der Stadteinfahrt von Poza Rica wartet die Verkehrspolizei auf uns. Mit Blaulicht und Martinshorn setzt sich die Kolonne wieder in Bewegung. Der Streifenwagen hält mit Lautsprecheransagen den Verkehr an, damit wir auch über rote Ampeln radeln können. Der Polizist auf dem Motorrad sichert die Kreuzung, während wir links abbiegen. Das ist alles andere als diskret, aber dafür sehr effektiv, um möglichst schnell durch den Berufsverkehr einer Großstadt zu radeln. 😉
In Gutiérrez Zamora haben wir das Vergnügen einem Radrennen beiwohnen zu dürfen. Das ganze erinnert ein bisschen an ein Pfadfinderlager. 😉 Auch die Radvereine sind ehrenamtlich organisiert. Dabei sind die einzelnen Vereine sehr unterschiedlich. Es gibt die Clubs, in denen sich ein älterer Radfahrer einer Horde Jugendlicher annimmt. Dann gibt es Erwachsenenvereine, die sich auf Mountainbiking oder Rennradfahren spezialisieren. In Gutiérrez Zamora kommen Radfahrer*innen aus ganz Veracruz zusammen. Wir zelten gemeinsam mit den Teilnehmer*innen in der Schule und bekommen den Eindruck, dass es hier nicht nur ums Gewinnen geht, sondern vielmehr die Veranstaltung drumherum im Vordergrund steht. Nicht zuletzt geht es auch darum, Gesicht zu zeigen und die Straßen zu erobern – in einem Land, in dem Radsportler*innen zwar im Verkehr durchaus respektiert werden, aber außerhalb der größeren Städte immer noch Exot*innen sind.
Eigentlich wollten wir wieder in die Berge klettern und über Oaxaca und Chiapas nach Guatemala radeln. Da wir jedoch für den geplanten Streckenabschnitt in Veracruz eine Sicherheitswarnung erhalten haben, lassen wir uns vom Schwung der Radgruppen mitnehmen und folgen den Kettengliedern von Enlace Bikers México entlang der Golfküste. Das neue Etappenziel lautet Karibik statt Pazifik. Wir wollen in Tabasco dem Strand folgen und dann die Halbinsel Yucatán durchqueren, bevor wir in Belize die Karibikküste erreichen. Die neue Route ist genauso lang, aber wesentlich flacher. Da die Hitzewelle mit Temperaturen deutlich über vierzig Grad nun auch endlich vorbei zu sein scheint, lässt es sich hoffentlich auch im Flachland entspannt radeln.
Um die Autobahn zu vermeiden, suchen wir kleine Straßen entlang der Küste. Hier finden wir wieder das ruhige Landleben. Da nicht alle Wege über Brücken miteinander verbunden sind, müssen wir ab und an ein Boot nehmen.
Na endlich kommt Ihr mal als Radfahrer auf Eure Kosten und werdet ausreichend von Sinnesgenossinnen und -genossen gewürdigt. Das freut mich, nicht nur für Euch. Das sind ja sehr anrührende Erfahrungen, die Ihr da macht… Herzlichen Glückwunsch zur 10 000! Ich hab vor eingen Wochen mal wieder 100 am Stück geschafft (nach über 30 Jahren). Alle Achtung. Euer Traum von der beradelten Welt ist ein schöner Traum. Seit wir nur noch E-Autos fahren ist 90km/h die Obergrenzen. Da nähern wir uns in der Geschwindigkeit schon etwas an. Aus Solidarität fahren wir sehr oft mit dem Fahrrad zur Arbeit. Bei mir sind es 19 km und Wiltrud fährt ihre sechs km fast täglich aber für 10 000 brauchen wir 3 Jahre.
Danke! 🙂 Dafür haben wir die 100 Kilometer am Stück erst einmal geschafft. Wir leben unseren Traum sehr langsam. 😉
Auch herzlichen Glückwunsch zu den 10000 km! Freut mich, dass ihr in Mexico auf so viel Wohlwollen von Radfahrer trefft.
Beste Grüße
Olaf