El glaciar Pastoruri – La ruta del cambio climático

Wir sind heilfroh, als wir die Gasse von Huaylas, wie das Tal zwischen der Weißen und der Schwarzen Kordillere genannt wird, wieder verlassen und zum Pastoruri-Gletscher abbiegen. Die Talstraße war bislang unsere traumatischste Erfahrung im peruanischen Straßenverkehr und das, nachdem wir vorher bereits zweimal von rücksichtslosen peruanischen Autofahrern angefahren wurden. Immerhin funktioniert unsere Sicherheitsstrategie, im Konvoi zu fahren. Marilyne bekam ihren Warnschuss in der kolumbianischen Hafenstadt Cartagena von hinten. Mich erwischte ein peruanischer Rechtsabbieger am Vorderrad. Die Kinder sitzen halbwegs sicher zwischen uns.

Die Entenschlucht am nördlichen Ende der Gasse von Huaylas

Auch im Norden Perus gab es viele verrückte Autofahrer*innen, aber da sich der Verkehr in Grenzen hielt, konnten wir uns mit ihnen arrangieren. Erst in der Entenschlucht fing es an, unangenehm zu werden. Der landschaftliche Traum sollte zu einem verkehrstechnischen Alptraum werden. Wo sich die Weiße und die Schwarze Kordillere fast berühren, bleibt für die Straße nicht viel Platz.

An der engsten Stelle kommen sich die beiden Bergketten bis auf fünfzehn Meter nahe.

Da der Weg durch die Schlucht mittlerweile komplett asphaltiert wurde, fuhren die Autos hier noch schneller als auf den Schotterpisten. Es ging zwar nur mäßig bergauf, da die Strecke ursprünglich für eine Eisenbahnlinie konzipiert wurde, aber in den einspurigen, unbeleuchteten und mitunter mehrere hundert Meter langen Tunneln gab es keinen Platz zum Überholen. Es war unglaublich stressig und nervenaufreibend unter Zeitdruck durch die über vierzig Tunnel zu radeln und in der Ferne bereits die hupenden Autos und LKWs zu hören. Zweimal mussten wir sogar im Tunnel umdrehen, um den Autos auszuweichen. Ein Busfahrer bog unsere Fahne, die wir als Abstandshalter quer auf dem Anhänger montiert haben, um 45 Grad in die Höhe. Seine lapidare Antwort auf unsere Beschwerde war lediglich, dass ja nichts passiert wäre. Erst als wir ihn aussteigen ließen, den Anhänger öffneten und ihm unsere Kinder zeigten, die wenige Zentimeter neben seinem Bus saßen, bekam er große Augen. Kinder in einem Fahrradanhänger sprengten sein Vorstellungsvermögen. Unter diesen Umständen konnten wir die spektakuläre Landschaft leider nicht wirklich genießen.

Marilyne auf dem Weg ins nächste schwarze Loch

Hinter der Entenschlucht wurde die Straße wieder breiter und wir erreichten zügig die Kleinstadt Caraz. Von hier aus starteten Marla und ich zu unserer neuntägigen Rundtour um den Huascarán, während Mika und Marilyne ihre Kräfte auf einem Zeltplatz im Tal schonten.

Zeltplätze sind in Lateinamerika rar gesät. An solchen Orten treffen wir oft auf Overlander*innen, die den Doppelkontinent mit ihren umgebauten Bussen und LKWs erkunden. In Caraz verbrachten wir ein paar Tage mit der chilenisch-US-amerikanischen Rainbow Family, die die unterschiedlichen Overlander-Typen trefflich beschreibt.
Um sich zu akklimatisieren, sind Mika & Marilyne mit den Overlander*innen zur Laguna Parón auf 4.185 Metern hochgefahren.

In der Bergwelt der Cordillera Blanca durften Marla und ich noch einmal von dem anderen Peru träumen, in dem verkehrsarme Pisten durch überwältigende Landschaften führen. Doch die Gasse von Huaylas holte uns abrupt wieder zurück in die dominierende Realität. Zwischen Caraz und Huaraz verkehren die rasenden Kleinbusse tagsüber im Dreiminutentakt. Ländliche Regionen in Deutschland können von solch einer Taktung des ÖPNV nur träumen. Für uns wurde die Rücksichtlosigkeit der (fast ausschließlich männlichen) Fahrer immer unangenehmer. Die Baustellen taten ihr Übriges, um ihre Geduld aufs Äußerste zu strapazieren. Je näher wir Huaraz kamen, desto ungeduldiger wurden sie. Als wir kurz vor Huaraz völlig genervt mit einem Autofahrer auf der Straße diskutierten, alarmierte der uns wohlgesonnene Fahrer des nachfolgenden Autos die Polizei. Wenige Minuten später luden die Polizisten unsere Räder auf ihren Pickup und brachten uns die letzten Kilometer bis in ins Stadtzentrum. Sie waren freundlich, fuhren aber auch nicht viel besser. Bei ihren Überholmanövern musste ich oft die Luft anhalten und wusste nicht, ob ich lieber auf dem Fahrrad oder in ihrer rasenden Blechkiste gesessen hätte.

Huaraz war die erste Großstadt auf unserem Weg, seitdem wir vor zweitausend Kilometern Pitalito in Kolumbien verlassen haben.

In Huaraz trafen wir Luba & Tom wieder, die wir bereits hoch oben in der Cordillera Blanca kennengelernt haben. Die beiden Slowak*innen sind ebenfalls mit einem Anhänger unterwegs, in dem sie ihre beiden Hunde transportieren. Sie haben ganz ähnliche Erfahrungen im peruanischen Straßenverkehr machen müssen. Überhaupt haben wir lange nicht mehr so viele Radreisende getroffen wie in Peru. Auch Hannah und Marius aus Deutschland, denen wir in Huamachuco begegnet sind, schimpfen über die peruanischen Autofahrer*innen.

Wiedersehen mit Luba & Tom zwei Monate später auf dem Altiplano in Bolivien

Das einzige, was uns nach Huaraz gezogen hatte, war die Hoffnung, mein abgenutztes Kettenblatt ersetzen zu können. Marla musste auf den steilen Pisten in der Cordillera Blanca bereits aussteigen und laufen, weil ich nicht mehr kräftig in die Pedalen treten konnte. Da allerdings selbst in Huaraz kein passendes Kettenblatt aufzutreiben war, musste der Radladen eine komplette Kurbel samt neuem Tretlager in der Hauptstadt Lima bestellen, welche jedoch über Nacht mit einem Linienbus geliefert wurde. Pakete mit Bussen zu verschicken, ist in Lateinamerika oft schneller und zuverlässiger als mit der Post.

Abfahrbereit in Huaraz

Um mit weniger Verkehr kämpfen zu müssen, verließen wir Huaraz an einem Sonntag Morgen. Es waren immer noch genug rücksichtslose Autofahrer*innen unterwegs, sodass wir einmal tief durchatmen, als wir endlich vom Callejón de Huaylas abbiegen und auf der Schotterpiste in Richtung Pastoruri-Gletscher stehen. Nachdem Marla und ich bereits zweimal über die Cordillera Blanca geradelt sind, wollen wir nun alle zusammen die Bergkette ein drittes Mal überqueren.

Auf dem Weg zum Pastoruri-Gletscher

Die Piste steigt im Gegensatz zur Huascarán-Runde gemütlich an, sodass wir gut voran kommen. Als an einem kurzen steilen Stück die Kinder doch aus dem Anhänger aussteigen müssen, taucht plötzlich Markus hinter uns auf und hilft uns beim Schieben. Den empathischen Schweizer Radreisenden haben wir in Huaraz kennengelernt und sollen ihn auch in Chile noch einmal wiedersehen. Jaja, die Welt ist klein auf dem Fahrrad – oder vielmehr sind die Anden unter Radreisenden sehr beliebt. 😉

Auf 4.200 Metern erreichen wir wieder eine Hochebene, wie wir sie schon von unserer Rundtour um den Huascarán kennen.
Leichter bepackt als wir, ist Markus bereits zur Rangerstation vorausgefahren und wartet dort auf uns.
Wir beschließen hier unser gemeinsames Nachtlager aufzuschlagen, um am nächsten Tag ordnungsgemäß unseren Eintritt zu entrichten, wenn die Station wieder besetzt ist.
Zelten mit Markus

Die Nationalparkwärter berechnen uns am nächsten Morgen dreißig Soles (umgerechnet rund acht Euro) pro Erwachsenen. Auf der Huascarán-Runde mussten wir ein Mehrtagesticket für den doppelten Preis lösen. In der Hoffnung, dass das Geld sinnvoll investiert wird, zahlen wir es gern. Was uns irritiert, ist, dass wir selbst innerhalb des Nationalparks keine wilde Tiere sehen. Selbst auf über viertausend Metern begegnen wir noch Kühen, Schafen und Pferden, aber keinem einzigen wilden Tier.

Kühe im Nationalpark
Auf der anderen Seite der Kordillere werden wir die ersten Alpacas sehen, aber auch die werden von Menschen gehalten.
Eines der wenigen wilden Tiere, die uns in Peru über den Weg gelaufen sind, war dieses Krötenpärchen …
… welches Mika auf dem Zeltplatz in Caraz beobachtet hat.
Dafür zeigt sich die Flora in ihrer ganzen Größe.
Marilyne verschwindet neben den Puya raimondii.
Die Riesenbromelien können bis zu zwölf Meter hoch werden. In ihrem hundertjährigen Leben blühen sie lediglich einmal.

Marla und ich sind bereits an die Höhe gewöhnt. Mika macht sich nichts draus. Doch Marilyne hat sehr zu kämpfen. Nach vierzehn geradelten Kilometern entscheiden wir uns, auf 4.600 Metern unser Zeltlager aufzuschlagen, damit sie sich noch eine weitere Nacht akklimatisieren kann. Wir werden die nächsten zwei Tage nicht mehr tiefer kommen.

Wir finden einen schönen Zeltplatz an einem kleinen Bach. Die Busse, die die Tourist*innen zum Gletscher hochfahren, sind bereits alle wieder zurück im Tal, sodass wir die Natur ganz für uns allein haben.
Abendbrot
Am nächsten Morgen ist es noch sehr frisch …
… und wir radeln uns auf der Stichstraße zum Pastoruri-Gletscher schnell warm.
Marilyne ruht sich am Parkplatz bei den Bussen für den nächsten Pass aus, während ich mit den Kindern zum Gletscher hochreite.
Wir laufen die letzten Meter …
… und erreichen die Eiswand am höchsten Punkt unserer Reise auf über 5.000 Metern.
Die Kinder wollen unbedingt das Eis anfassen. Seit Tagen erzählen sie schon davon.
Als wir zehn Meter vor dem Gletscher an der Absperrung stehen, meint Marla, dass sich der Aufstieg gar nicht gelohnt habe, wenn sie das Eis nicht berühren dürfen.
Also setzen sie sich kurzerhand über die Absperrung hinweg und flitzen die letzten Meter bis zur eisigen Wand.
Wer könnte den leuchtenden Kinderaugen dieses Erlebnis verwehren?

Es ist erschreckend auf den Zeitraffertafeln anzusehen, wie der Gletscher in den letzten Jahrzehnten geschrumpft ist. In wenigen Jahren wird er ganz verschwunden sein. Wissenschaftlich gesprochen, handelt es sich beim Pastoruri um gar keinen Gletscher mehr, da er in der kalten Jahreszeit nicht mehr wächst.

Die Nationalparkverwaltung hat die Straße zum Pastoruri-Gletscher zur „ruta del cambio climático“ ausgerufen.
In Alaska haben wir den Mendenhall-Gletscher besucht, der in fünfundzwanzig Jahren ebenfalls verschwunden sein soll. In den Tropen macht sich der Klimawandel noch deutlicher bemerkbar.

Dank des Klimawandels rauscht das Schmelzwasser in Strömen von den schneebedeckten Gipfeln der Cordillera Blanca. Die lokale Bevölkerung hat jedoch erkannt, dass die Schneemassen endlich sind und die Weiße Kordillere bald genauso trocken wie die Schwarze Kordillere sein wird. Der Konflikt ist vorprogrammiert.

In der Entenschlucht wird der rauschende in elektrischen Strom umgewandelt.

Vor dem Gletscher war bereits sehr wenig Verkehr auf der Klimawandelroute unterwegs, aber hinter dem Gletscher wird es richtig einsam. Den Rest des Tages werden wir kein einziges Auto mehr sehen. Morgen wird uns lediglich eins begegnen. Wir überqueren noch einen Pass auf 4.808 Metern und fahren wieder zweihundert Meter hinunter, um einen Schlafplatz zu suchen.

Die Höhe fordert ihren Tribut. Marilyne muss immer wieder schieben.
Bergrunter können wir die grandiose Landschaft genießen.
Unser höchstes Nachtlager auf 4.636 Metern
Am nächsten Morgen entkeimt Marla das Schmelzwasser
… und weiter geht’s …
… wieder rauf auf 4.800 Meter.
Abgesehen von dem einen Auto begegnet uns heute lediglich eine Frau am Wegesrand.
Die Menschen leben hier oben von der Viehwirtschaft.
Das Wetter kann in der Höhe binnen wenigen Minuten umschlagen. Noch scheint die Sonne.
Doch kurze Zeit später finden wir uns mitten im Schneegestöber wieder.
Bis die ersten Sonnenstrahlen wieder durch die Wolkendecke brechen.
Im Anhänger bleibt es kuschelig warm, solange das Plastikverdeck geschlossen ist.
Die fantastische Bergwelt der Cordillera Blanca
Auf 4.869 Metern erreichen wir mit unseren Rädern den höchsten Pass unserer Reise und befinden uns damit höher als der Mont Blanc, der höchste Gipfel in den Alpen.

Da die Wolken schon wieder Schnee ankündigen, halten wir nur für eine kurze Mittagspause. Zu essen gibt es lediglich Cracker mit Thunfisch. Als wir am Pastoruri-Gletscher unsere Brotvorräte auffüllen wollten, drängelte sich eine Frau vor, kaufte das letzte Brot und stieg damit in den Bus ein, der sie ein paar Stunden später im Schlemmerparadies Huaraz wieder ausspuckte. Sie hat sehr wohl gesehen, dass wir mit dem Fahrrad unterwegs sind und vermutlich nicht so bald am nächsten Dorfladen vorbeikommen. Doch in Peru gilt (wie in vielen anderen Bäckereien Lateinamerikas auch): Wer sich vordrängelt, isst zuerst. Ich habe es aufgegeben, mich darüber aufzuregen. Da esse ich lieber Cracker.

Mittagspause am Pass
Thunfisch mit Cracker
Nach dem Pass fehlen nur noch fünf Kilometer …
… auf der Schotterpiste …
… bis wir den Asphalt erreichen …
… und fünfzig Kilometer bis La Unión hinuntersausen.

Die Anstrengung, die Weiße Kordillere dreimal zu überwinden, hat sich auf jeden Fall gelohnt. Die Landschaft war jedes Mal sehr unterschiedlich. Zurück auf dem Asphalt müssen wir nun wieder den Verkehr in unsere Routenentscheidung einbeziehen. Eigentlich wollten wir auf der Hauptstraße in Richtung Huánuco weiterradeln. Doch auf der Strecke wird gebaut und sie soll sehr schmal und verkehrsreich sein. Also entscheiden wir uns kurzerhand noch einmal um. Entlang der Cordillera Huayhuash wollen wir auf Schotterpisten die Cordillera Raura bezwingen. Was wir in La Unión noch nicht wissen: Es soll unser letztes Abenteuer in Peru werden.

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