La Ruta de las Vicuñas – El Altiplano nos está llamando

Um die Ruta de las Vicuñas zu erreichen, müssen wir von dem kleinen Andendorf Putre zunächst noch eintausend Höhenmeter auf den Altiplano hinaufstrampeln. Zum Glück finden wir eine französische Familie, die uns unsere Lebensmittelvorräte für die nächsten neun Tage und Wasser mit dem Auto hochfährt. Obwohl wir somit dreißig Kilo leichter unterwegs sind, ist der Anstieg anstrengend genug.

Marilyne schiebt die ersten Kilometer aus Putre hinaus.
Für die knapp zwanzig Kilometer brauchen fast vier Stunden und noch einmal so viele Verschnaufpausen.
Wir sind froh, als wir die Hauptstraße zwischen Arica, Putre und der bolivianischen Hauptstadt La Paz erreichen, die immer noch stetig, aber zumindest nicht mehr ganz so steil ansteigt.

Trotz aller Anstrengung sind die ersten Kilometer auf chilenischen Straßen ein Segen. Auf der Hauptstraße nach Bolivien sind zwar relativ viele LKWs unterwegs. Wir fühlen uns jedoch bei Weitem nicht so bedroht wie in Peru. Die peruanischen Verkehrssitten sitzen uns immer noch wie ein Schreck im Nacken. In Chile überholen uns die LKWs hingegen sehr respektvoll. Hier gilt das Recht der Stärkeren nicht mehr uneingeschränkt.

Chile garantiert Bolivien über diese Straße zollfreien Zugang zum Pazifikhafen in Arica. Die bolivianischen LKWs transportieren Erdöl nach unten und raffiniertes Benzin wieder hoch. Vor 140 Jahren musste Bolivien im Salpeterkrieg seinen Zugang zum Pazifik an Chile abtreten und wurde damit zum Binnenland.
Bis heute unterhält der bolivianische Staat eine Seestreitkraft, um seinen Anspruch auf den Pazifikkorridor zu untermauern. Seit Jahrzehnten versucht Bolivien diesen zurückzugewinnen. Die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind deswegen stark belastet. Sie unterhalten immer noch keine Botschaft, sondern lediglich Konsulate im jeweiligen Nachbarland.

Der Kontrast zwischen Peru und Chile ist ähnlich groß wie der zwischen den USA und Mexiko oder Nicaragua und Costa Rica. Schon in Arica bemerkten wir sofort, dass wir eine andere Welt betreten haben. Die Autos halten an Zebrastreifen. Innerorts gibt es Radwege und dort wo es keine gibt, nehmen die Radfahrer*innen eine ganze Spur ein, ohne dass sich die Autofahrer*innen darüber beschweren würden. Es gibt wesentlich mehr weibliche Autofahrerinnen. In Peru ist dieses Privileg überwiegend Männern vorbehalten. Außerorts gibt es ab und an sogar einen Seitenstreifen. Auf den peruanischen Straßen kamen wir in anderthalbtausend Kilometern nicht einmal in diesen Genuss. Wir sind glücklich, dass wir das Radeln auf der Straße endlich wieder genießen können.

Vieles in Chile erinnert uns an Europa – nicht zuletzt die Steckdosen, in die hier zum ersten Mal auf unserer Reise durch Amerika die europäischen Stecker passen. Außerdem funkt es nicht jedes Mal so wie in Peru, wenn wir unsere elektronischen Geräte aufladen wollen.

Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir die Rangerstation, wo die französische Familie den Sack mit unserem Essen versteckt hat. Wir bauen schnell unser Zelt auf, da es auf viereinhalbtausend Metern schlagartig frisch wird, sobald die Sonne untergeht. Für die heißen Quellen sind wir heute zu müde und heben sie uns für morgen auf.

Danke Elodie, Stephan & Kinder! 🙂
Am nächsten Morgen …
… begutachtet Mika unsere Essenvorräte.
Gleich nach dem Frühstück wollen die Kinder …
… in die heißen Quellen springen.
Bereits am ersten Tag auf der „Ruta de las Vicuñas“ begegnen wir nicht nur den Vicuñas (die wilden Geschwister der Alpacas und Lamas) …
… sondern auch Vizcachas (Hasenmäuse) …
… und Kondoren – und damit mehr wilden Tieren als in ganz Peru.

Wir sind auf dem Altiplano angekommen. Die Hochebene erstreckt sich von Südperu über Bolivien bis ins nördliche Chile und Argentinien. Sie bildet die dickste Stelle der ansonsten eher schmalen Anden. Zwischen Arica in Chile und Santa Cruz de la Sierra in Bolivien weitet sich das Gebirge auf über sechshundert Kilometer, um für den Altiplano Platz zu machen. Die Hochebene ist zwar (abgesehen von den spiegelglatten Salzseen) auch nicht völlig flach, aber im Vergleich zu den nord– und zentralperuanischen Anden liegen zwischen den Pässen zumindest nicht jedes Mal mehrere tausend Höhenmeter. Fast zwei Monate werden wir nun oberhalb der dreieinhalbtausend Meter bleiben.

Wir fahren noch nicht auf direktem Wege nach Bolivien, sondern zunächst entlang der Grenze zum Salzsee Surire.
Als wir den Asphalt verlassen, schlägt das Wetter um. Binnen wenigen Minuten verwandelt sich der strahlende Sonnenschein in unangenehme Kälte.
Weder der Pomerape (links) noch der Parinacota (rechts) sollten auf die leichte Schulter genommen werden. Beide Vulkane überragen die sechstausend Meter.
Auf dem Weg zum ersten Pass auf 4.577 Metern fängt es an zu schneien.
Um nicht einzufrieren, essen die Kleinen ihr Mittag heute im Anhänger und die Großen im Stehen.
Am Abend verzieht sich das Unwetter und wir finden einen windgeschützten Zeltplatz im verlassenen Dorf Misitune.

Hier oben auf dem Altiplano erfahren wir seit langem mal wieder, was es bedeutet, gegen den Wind ankämpfen zu müssen. Wir hatten ihn schon fast vergessen. In den peruanischen Tälern blies manchmal ein leichter Aufwind von der Küste kommend die Berge hoch. In Panama mussten wir einmal auf einer Passhöhe kurz absteigen, um vom Seitenwind nicht umgeworfen zu werden. Aber unsere letzten unangenehmen Erinnerungen an kalten und kräftezehrenden Wind reichen zwei Jahre bis nach Oregon zurück.

Am nächsten Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.
Vor unserer Zelttür grasen Vicuñas.
Die Landschaft lädt zum Verweilen ein.
Wenn das Klima nicht so rau und die Luft nicht so dünn wäre, könnten wir den Expeditionscharakter unserer Reise glatt vergessen und sie für eine Spazierfahrt halten. 😉
Für ein paar Kilometer kommen wir sogar in den Genuss einer hauchdünnen Asphaltschicht.
Da die Straße weiter vorne in einen Fluss gefallen ist, sind hier keine motorisierten Fahrzeuge unterwegs.
Am Wegesrand tauchen die ersten Salzablagerungen auf.
Die gilt es natürlich näher zu untersuchen.
Abfahrt zu einem kleinen Salzsee
Zur Abwechslung kreuzen Lamas die Straße.
Auf der anderen Seite des Tals schieben wir den Berg wieder hinauf.
Oben angekommen blicken wir auf den rauchenden Vulkan Guallatiri, der ebenfalls die Sechstausend-Meter-Marke überbietet.
Die Sonne steht schon tief am Horizont.
Es wird Zeit, einen Zeltplatz zu suchen.
Wir fahren zum Río Lauca ab, an dessen Ufer wir heute unser Nachtlager aufschlagen wollen.

Wasser ist auf dem Altiplano ein rares Gut. Steppen- und wüstenhafte Landschaften wechseln sich miteinander ab. Da wir oft nur zwanzig bis dreißig Kilometer am Tag schaffen, müssen wir mit unserem Wasservorrat extrem gut haushalten.

Die Vicuñas gehören zur Familie der Kamele. Sie können sehr lange ohne Wasser auskommen und ernähren sich von den wenigen Grasbüscheln, die hier oben wachsen.
Nicht alle überleben jedoch die rauen Bedingungen auf dem Altiplano.
Auch die toten Vicuñas möchten eingehend studiert werden.
Neuer Tag, neues Glück! Am Morgen strahlt oft die Sonne. 🙂
Die Wege werden immer sandiger …
… sodass die Kinder immer öfter aussteigen und laufen müssen.
Jeder kleine Anstieg wird in der Höhe zum Kraftakt.
Hier hat der Río Lauca die Piste verschlungen.
Mittagspause
Als wir die nächste Häuseransammlung passieren, läuft uns eine abgemagerte Hündin zu. Die Bewohner*innen sind offensichtlich bereits seit Tagen verreist und haben ihre Tiere zurückgelassen. Wir fordern die Hündin mit Nachdruck auf, in ihrem Zuhause zu bleiben.
Doch sie möchte partout nicht hören und entscheidet sich für ein neues Leben.
Selbst das kalte Wasser des Río Lauca …
… kann sie nicht aufhalten.
Mit unserem Schneckentempo kann sie problemlos mithalten.
Auch die lausig kalte Nacht vor unserem Zelt kann sie nicht mehr von uns trennen.
Uns bleibt nichts anderes übrig, als sie in unsere Familie aufzunehmen.
Die Kinder taufen sie auf den Namen Negrita.

Zurück auf der Hauptschotterpiste müssen wir die Straße wieder mit den LKWs teilen. Auch die LKWs wollen zum Salar de Surire, um dort das Salz Ulexit abzuholen. Ende der Achtziger Jahre vergab die Militärregierung unter Augusto Pinochet die Konzession, wenngleich der Salzsee bereits damals unter Naturschutz stand. Seitdem baut das chilenische Unternehmen Quiborax das als Fernsehstein bekannte Salz hier ab, verarbeitet es in einer Fabrik u.a. zu Borsäure und verschifft diese weltweit über den Hafen in Arica.

Die Muldenkipper wirbeln viel Staub auf. Doch auch sie fahren sehr respekvoll im Schritttempo an uns vorbei. Gelegentlich hält sogar einer an und bietet uns Wasser oder frisches Obst an, was hier oben Gold wert ist.
Auf dem Hinweg von der Fabrik zum Salzsee sind sie leer vier Stunden unterwegs. Auf dem Rückweg brauchen sie vollbeladen sieben Stunden. Die Wartezeiten zum Be- und Entladen einkalkuliert, ergibt sich ein sehr langer Arbeitstag. Die Fahrer arbeiten als Selbstständige. Wenn ihr LKW kaputt ist und sie zur Reparatur nach Arica fahren müssen, verdienen sie nichts.
Nach Feierabend haben wir die Piste wieder für uns alleine.
Der Altiplano zeigt sich von seiner schönsten Seite. Sogar die Straße fährt sich ein bisschen besser. Wenn da nicht der Gegenwind wäre …
Erschöpft schiebt Marilyne die letzten Tagesmeter.
Mitten im Nirgendwo taucht dieser Imbiss für die LKW-Fahrer am Wegesrand auf. Die Küche ist bereits geschlossen, aber die Señora kommt gerade von ihrer Herde zurück. Sie wärmt uns eine Alpaca-Suppe auf und erlaubt uns, unser Zelt aufzuschlagen.
Einen besseren Schlafplatz hätten wir heute nicht finden können. Ihr Haus bietet einen hervorragenden Windschutz und Spielplatz zugleich.

Am nächsten Morgen wecken uns die Minen-LKWs um sechs Uhr mit laufenden Motoren. Wir löffeln eine weitere Alpaca-Suppe und können unverhofft sogar noch unsere Vorräte um drei Mohrrüben, zwei Zwiebeln und eine Rolle Klopapier aufstocken. Gestärkt bezwingen wir den letzten Pass auf dem Weg zum Salar de Surire. Am Ufer des Salzsees halten wir an einer Polizeistation. Die bolivianische Grenze ist nur noch wenige Kilometer entfernt.

Salar de Surire
Surire bedeutet Nandu. Die großen Laufvögel werden wir später auch noch zu Gesicht bekommen. Vorerst tummeln sich hier wie gewöhnlich die Vicuñas.
Die Polizisten füllen nicht nur unsere Wasservorräte auf, sondern laden uns auch noch zum Mittagsessen ein. Sie haben einen großen Linseneintopf mit hartgekochten Eiern vorbereitet.

An der Polizeistation lernen wir den Touristenführer Orlando kennen. Er bietet uns an, unser Trinkwasser zu den heißen Quellen von Polloquere mitzunehmen. Die Thermalquellen liegen auf der anderen Seite des Salzsees. Mit Orlandos Unterstützung schaffen wir es leichter bepackt die Quellen noch heute zu erreichen. Außerdem können wir somit morgen einen Ruhetag einlegen, um Marlas Geburtstag zu feiern.

Flamingos säumen das feuchte Ufer des Salzsees, während die Muldenkipper in der Mitte des Salars das Salz abtransportieren.
Es wird ein langer Tag, aber da unsere Wasservorräte vorausgefahren sind, haben wir keine andere Wahl. Negrita darf sogar für ein paar Kilometer in den Anhänger einsteigen, damit sie nicht zu sehr ermüdet.
Die „Ruta de las Vicuñas“ macht ihrem Namen alle Ehre.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir die dampfenden Thermalquellen.
Der magische Ort zieht uns in seinen Bann.

Zur Geburtstagsfeier gesellt sich am nächsten Tag noch ein deutsches Ehepaar, welches die Nacht ohne Isomatten in einem Mietwagen verbracht hat. Da behaupte mal noch jemand, dass wir verrückt seien. 😉 Sie sind von der Idee, an diesem abgelegenen Ort Geburtstag zu feiern, so angetan, dass sie uns mit Wasser und Essen aushelfen. Auch Orlando hat gestern in unserem Sack nicht nur das Wasser, sondern darüber hinaus die Reste vom Picknick seiner Gruppe verstaut.

Die Thermalquellen von Polloquere liegen am Rande des Salzsees auf 4.250 Metern.

Das schwefelhaltige Thermalwasser ist nicht trinkbar. Unsere Lebensmittelvorräte hatten wir für neun Radeltage bis zum nächsten Dorfladen kalkuliert und werden sie dafür auch brauchen. Doch dank der Unterstützung unserer hilfsbereiten Mitmenschen können wir sogar zwei (sehr notwendige) Ruhetage an diesem außergewöhnlichen Ort verbringen und Marlas Geburtstag ausgiebig feiern.

Wir zelten direkt neben den heißen Quellen.
Dieser Geburtstag wird noch lange in Erinnerung bleiben.
Im Laufe der nächsten zwei Tage werden noch weitere Tourist*innen Saft und Kekse zu diesem rauschenden Fest beisteuern.
Das Geburtstagsprogramm sieht baden, essen und UNO spielen vor.
Die Gäste sind völlig aus dem Zeltchen.
Allez hop, kleiner Bruder!
Andrea & Martin sind extra aus Feuerland mit dem Rad angereist. Martin ist auf dem Weg nach Alaska und Andrea begleitet ihn etappenweise.

Der einzige Wermutstropfen ist der Abschied von Negrita. Sie ist uns in den letzten fünf Tagen sehr ans Herz gewachsen. Die letzte Nacht hat sie sogar in unserem Vorzelt geschlafen, weil der Wind draußen so unerbärmlich pfiff. Doch von unseren knapp kalkulierten Vorräten können wir ihr leider nichts abgeben. Die Señora im Imbiss und die Polizisten hatten Knochen für sie übrig. Auch die Tourist*innen waren sehr großzügig. Auf Dauer ist das jedoch keine Lösung. Bislang wollte sich niemand ihrer erbarmen, bis heute Morgen drei Nationalparkranger aufgetaucht sind. Sie versprechen uns, Negrita zu ihren Besitzer*innen zurückzubringen. Ob es der Hündin dort besser gehen wird? Hoffentlich. Sie ist uns in der Hoffnung auf ein hundewürdigeres Leben in Freiheit gefolgt, welches wir ihr jedoch auf lange Sicht nicht bieten können. Nahrungsmittel könnten wir das nächste Mal vielleicht einplanen, aber sobald wir wieder Asphalt unter den Rädern haben, wären unsere Tagesetappen zu lang für sie und im Anhänger gäbe es keinen Platz.

Adiós, Negrita!
Adiós, Polloquere!

Wir haben lange mit der weiteren Route gehadert. Es gibt eine Abkürzung, die nicht nur kürzer, sondern auch flacher wäre, aber für drei Kilometer durch bolivianisches Territorium führen würde. Im Internet kursieren die wildesten Geschichten von Krähenfüßen, die die bolivianischen Grenzschützer*innen einsetzen, um Autoschieberbanden aufzuhalten. Schmuggler*innen haben wir bislang keine getroffen, um sie nach dem Weg fragen zu können. Die Auskunftsbereitschaft der chilenischen Polizei hält sich verständerlicherweise in Grenzen. O-Ton: „Der Weg existiert.“ Die Reiseradler*innen, denen wir begegnen, nehmen eher den längeren Weg in Kauf. Die Touristenführer*innen hingegen empfehlen uns die Abkürzung. Sie benutzen sie gelegentlich, um ihre Kund*innen auf dem kürzesten Wege in das Grenzdorf Colchane zu transportieren, wohin wir auch unterwegs sind. Nachdem wir eine Weile hin- und herüberlegt haben, entscheiden wir uns dafür, den bolivianischen Pass in Angriff zu nehmen.

Die Kinder laufen den drei Kilometer langen Anstieg zum Abra Capitán hoch. Die Abkürzung erspart uns einen weiteren Tag harte Arbeit.
Nahe der Grenze sind in der Tat Krähenfüße im Pistensand versteckt. Für Fahrradreifen ist die Gefahr jedoch überschaubar.
Auf 4.505 Metern erreichen wir die Passhöhe. Nichts weist hier darauf hin, dass wir die Grenze nach Bolivien passieren. Heute sind wir noch keiner Menschenseele begegnet.
Lediglich am Zustand der Piste merken wir, dass wir Chile verlassen haben.
Doch bergab lässt sich selbst der holprige Feldweg auf der bolivianischen Seite rollen.

Während wir uns langsam den Abra Capitán hinunterarbeiten, taucht plötzlich ein Auto hinter uns aus. Da wir das schlimmste befürchten, beschleunigen wir auf das Maximum, was ein Feldweg in dieser Höhe hergibt. Wir wollen jeglichen Kontakt mit den bolivianischen Autoritäten vermeiden.

Erleichtert passieren wir nach drei Kilometern auf bolivianischem Staatsgebiet erneut die Grenze. Wir schießen schnell ein Foto und fahren zurück nach Chile.

Das Auto ist auf dem Feldweg auch nicht so schnell unterwegs. Doch die Staubwolke kommt unaufhaltsam näher. Als sie uns auf chilenischem Boden einholt, ist die Überraschung groß. Aus dem Auto steigt Orlando – diesmal mit einer deutschen Reisegruppe im Gepäck. Obwohl er sich nicht sicher sein konnte, uns hier heute anzutreffen, war er heute Morgen extra für uns einkaufen. Unglaublich! Noch dazu ist sein Timing perfekt. Für unseren Mittagstisch zaubert er frisches Obst und Gemüse aus seinem Kofferraum.

Danke Orlando! 🙂

Die Herzlichkeit der Menschen hier oben auf dem Altiplano erinnert uns an Alaska. Einmal mehr bestätigt sich eine Erfahrung, die wir auf dieser Reise sammeln durften: Je rauer die Gegend, desto herzlicher die Menschen.

Ein exquisites Picknick mitten im Nirgendwo

In Anbetracht der Entbehrungen, die solch eine Reise mit sich bringt, bekommt selbst eine kleine Tomate einen ganz besonderen Wert. Sie schmeckt nicht nur anders, sondern ist ein Ausdruck von Mitmenschlichkeit. Wohingegen uns am Anfang der Reise die Fülle der Geschenke noch irritiert hat, wissen wir die Geste mittlerweile anzunehmen.

Mit frischer Energie …
… machen wir uns wieder auf den Weg.
Lamas am Wegesrand
Unser Nachtlager schlagen wir heute im Windschatten der Ruinen eines verlassenen Dorfes auf.

Als die Sonne untergeht, wird die einsame Hochebene unversehens lebendig. Im Schutze der Dunkelheit zieht vor unserem Zelt ein Konvoi mit 19 Autos und vollbeladenen LKWs vorbei. Die Fahrzeuge sind auf dem Weg nach Bolivien. Sie fahren ohne Licht, damit die bolivianischen Grenzschützer*innen sie nicht entdecken. Deren Militärlager konnten wir am Abend noch deutlich auf der anderen Seite der Grenze ausmachen. Im Mondlicht ist jetzt nur noch die Silhouette der Berge zu erkennen. Eine Stunde später kommen die LKWs leer zurück. Die Autos sind in Bolivien geblieben. Die ganze Nacht herrscht reges Treiben auf einer Straße, auf der tagsüber kaum ein Auto unterwegs ist. Doch sie stören sich nicht an unserer Anwesenheit. Wir ignorieren sie und sie uns.

Am nächsten Tag sehen wir zwei leere LKWs in einem unbewohnten Dorf. Die Fahrer grüßen freundlich, während sie sich auf der Ladefläche ausruhen. Die Häuser sind verrammelt und verschlossen, sodass niemand hineinspähen kann.
Ein paar Kilometer weiter können wir die restlichen LKWs am Fuße des Vulkans Isluga erkennen.

Es ist nicht verboten, tagsüber mitten in der Pampa zu parken. So oder so ist das ganze Spiel so offensichtlich, dass die chilenische Polizei sicherlich davon weiß und mitspielt. Was soll sie auch tun? Um einen Konvoi in dieser Größenordnung anzuhalten, bräuchte sie sehr viel Personal, worüber sie hier oben nicht verfügt. Außerdem würde das nur dazu führen, dass sich die Schmuggler*innen einfach einen anderen Grenzübergang suchen. Die Grenze ist lang und schlecht zu bewachen. Also spielen die Chilen*innen einfach mit und leisten so ihren Beitrag, um die Ungerechtigkeiten dieser Welt ein bisschen abzubauen und eine Prise Wohlstand auf die andere Seite der Grenze zu bringen.

Teil des Spiels ist es, dass die Chilen*innen ab und an einen bolivianischen LKW konfiszieren, was wir bei der Polizeistation am Salar de Surire beobachten konnten. Wenn sich die Fahrer*innen an die Spielregeln halten, werden sie i.d.R. zeitnah nach Bolivien abgeschoben.
Die Alpacas scheren sich nicht, auch nicht um die nächtlichen Besucher*innen. Sie sind die stummen Zeugen des Schmuggelgeschäfts.

Für uns wird es nun langsam Zeit, zurück in die Zivilisation zu kommen. Nicht nur unsere Essensvorräte neigen sich ihrem Ende zu. Auch unsere Energiereserven sind aufgebraucht. Bei aller atemberaubender Schönheit ist dieses Radabenteuer sehr kräftezehrend. Wir sehnen uns nach einer Dusche, um die Strapazen und den Schwefelgeruch abzuwaschen, der auch Tage später noch an uns haftet.

Die Trockenheit greift unsere Haut und Nasenschleimhäute an. Wenn der Wind in der Mittagspause aufkommt, knirscht es zwischen den Zähnen.
Nach 11 Tagen trockenem Klima, zehrendem Wind und ohne Dusche freuen wir uns über die lauwarmen Aguas Calientes.
Nach zweihundert Kilometern auf ruppigen Schotterpisten oberhalb von viertausend Metern …
… erreichen wir kurz vor Colchane den Aspahlt. An diesem offiziellen Grenzübergang nach Bolivien warten die LKWs mit raffiniertem Benzin und die legalen Autotransporter.

Wir verbinden das Angenehme mit dem Nützlichen und warten in Colchane auf die Achse für unseren Anhänger. Das Paket hat es trotz Demonstrationen und Ausnahmezustand von Santiago bis nach Putre geschafft. Dort hat es Paulina für uns abgeholt und mit einer Touristengruppe nach Colchane weitergeleitet. Die Hilfsbereitschaft auf dem Altiplano kennt keine Grenzen. Es sind diese kleinen und großen Gesten am Wegesrand, die uns immer wieder Kraft geben, unsere Reise fortzusetzen.

Nach fünf Wochen und damit schneller als während der Unruhen erwartet, erreicht uns das Paket aus Deutschland. Neben der Achse versüßen uns ab sofort Schokolade und Gummibärchen das raue Leben auf dem Altiplano. Wir tauschen unsere gebastelte Ersatzachse aus und fahren – diesmal auf dem offiziellen Wege – nach Bolivien.
Tschüss, Chile! Das war ein guter Start! Wir kommen bald wieder. 🙂

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