Cartagena – Donde nadie frena por una cicla

Bereits auf unserem ersten Kilometer in Kolumbien werden unsere hohen Erwartungen an das angeblich so radfreundliche Land gedämpft. Wir verlassen den Hafen und kämpfen uns durch den wuseligen Stadtverkehr Cartagenas. An der ersten Ampel schubst ein unachtsamer Autofahrer Marilyne mit seiner Stoßstange vom Rad.

Es passiert alles in Schrittgeschwindigkeit. Wie in Zeitlupe fallen Marilynes Fahrradtaschen auf den Asphalt. Es war sicherlich nicht seine Absicht, aber der Fahrer fühlt sich auch nicht bemüßigt auszusteigen oder ihr gar zu helfen. Auch der Polizist, der zufällig am Straßenrand steht und das Geschehen beobachtet, sieht keinen Anlass zu handeln. Letztendlich kommt Marilyne mit einem riesen Schreck und einer kleinen Schramme davon. Der erste Unfall auf unserer Reise wird uns jedoch als Warnschuss in Erinnerung bleiben. Wir haben einerseits gelernt, dass Radfahrer*innen in der kolumbianischen Verkehrshierarchie sehr weit unten stehen und anderseits beobachtet, dass die Bevölkerung und die Polizei in einer merkwürdigen Beziehung miteinander leben, die es noch besser zu verstehen gilt.

Auf unserem weiteren Weg durch Cartagena beschweren sich noch drei Motorradfahrer*innen über unsere Querfahne am Anhänger, die, den engen Straßen Cartagenas angepasst, lediglich dreißig Zentimeter in den Verkehr hineinragt. Die Motorräder wollen uns jedoch noch dichter überholen. Vor den Toren Cartagenas werden wir Zeugen eines weiteren Unfalls. Dariam, ein jugendlicher BMX-Fahrer, wird von einem Motorrad angefahren und fällt uns vor die Räder. Der Motorradfahrer hatte ihn im Vorfeld mit seiner Hupe gewarnt und wie so oft bedeutet hupen, dass ohne Rücksicht auf Verluste überholt wird. Während Dariam sich vor Schmerzen krümmt, ergreift der Fahrer die Flucht.

Es stimmt, dass auf den kolumbianischen Straßen viele Radsportler*innen unterwegs sind. Seit Mexiko haben wir keine so lebendige Fahrradkultur mehr erlebt. Doch von Respekt gegenüber den langsameren Verkehrsteilnehmer*innen fehlt jede Spur. Unter Rechtsabbieger*innen scheint es ein beliebtes Spiel zu sein, Fahrräder kurz vor einer Kreuzung haarscharf zu überholen, um sie dann ohne Ankündigung auszubremsen. Die LKWs nutzen den Standstreifen als Fahrspur und Du weißt nie, ob die Fahrer*innen mit ihrem Handy spielen, schlafen oder betrunken sind, wenn sie mit neunzig Sachen von hinten angerauscht kommen und erst im letzten Moment auf die Fahrspur wechseln. Noch gefährlicher sind die Autos, die im Windschatten dieser LKWs fahren und uns deswegen nicht sehen. Wir nehmen den Warnschuss zum Anlass, unsere Hausaufgaben zu machen und ein erhöhtes Augenmerk auf die Suche nach einer radreisetauglichen Route zu legen.

Durch Zentralamerika war unsere Route halbwegs vorgegeben, da der nordamerikanische Kontinent bis zur Landenge von Panama immer schmaler wurde. So konnten wir uns ohne konkretes Ziel gen Süden treiben lassen. In Cartagena angekommen, haben wir nun wieder einen ganzen Kontinent vor uns – zumindest auf den ersten Blick.

Bei näherer Betrachtung der Landkarten fällt uns auf, dass es gar nicht so viele Grenzübergänge gibt, an denen wir Kolumbien wieder verlassen können. Venezuela ist im Moment aufgrund der politischen und humanitären Krise nicht so einfach zu beradeln. Wir werden in Kolumbien vielen Venezolaner*innen begegnen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Sie schwärmen oft von ihrem Land, raten uns jedoch einstimmig von einem Besuch zum jetzigen Zeitpunkt ab, sodass wir Venezuela schweren Herzens für eine spätere Reise aufheben. Brasilien und Peru sind auf dem Landweg nicht zu erreichen, sondern nur auf einer mehrtägigen Bootsreise durch den Amazonasregenwald. Das klingt zwar äußerst verlockend, aber scheint uns mit den Fahrrädern und unserem ganzen Gepäck sehr umständlich zu sein. Somit bleibt also nur noch Ecuador übrig. Von Ecuador geht es zwangsläufig weiter nach Peru, da das südliche Nachbarland das vergleichsweise kleine Ecuador fast umschließt.

Ab Peru gibt es dann auch auf dem Landweg wieder mehr Optionen. Die faszinierende Bergwelt Boliviens mit ihren Salaren und farbenfrohen Lagunen würde uns sehr reizen. Allerdings müssten wir uns ein bisschen sputen, um noch vor der Regenzeit, die dort Ende des Jahres beginnt, über den Altiplano zu radeln. Dann stehen die Salzseen unter Wasser und Regen kann in dieser Höhelage Schnee bedeuten. Wir könnten alternativ aber auch geradeaus durch die Atacama-Wüste in Chile radeln oder scharf links ins brasilianische Amazonasbecken abbiegen. Bis wir uns entscheiden müssen, haben wir allerdings noch ein bisschen Zeit. Zunächst einmal steht die Route grob für das nächste halbe Jahr.

Durch Kolumbien führen zwei Hauptrouten nach Ecuador. Die eine verläuft westlich der Zentralkordillere durch das Tal des Río Cauca in Richtung der ecuadorianischen Hauptstadt Quito. Die andere folgt östlich der Gebirgskette dem Río Magdalena in Richtung Amazonien. Da sich die Panamericana und die Millionenstädte Medellín und Cali an den Río Cauca schmiegen, entscheiden wir uns für die Ostroute – in der Hoffnung dort weniger Verkehr und Steigungen vorzufinden. Das Tal des Río Magdalena steigt erst kurz vor der ecuadorianischen Grenze an. Um die Östliche Kordillere zu überqueren, müssen wir lediglich auf gut zweitausend Meter klettern, was in den Anden als niedriger Pass durchgehen kann. Das kolumbianisch-ecuadorianische Grenzgebiet ist jedoch jahrelang eine sogenannte rote Zone gewesen. Die Guerilla hat sich erst vor wenigen Jahren aus dieser Region zurückgezogen. Die Kokapflanzen und die Drogenproduktion sind geblieben. Von Cartagena aus betrachtet, scheint der Süden Kolumbiens aber unendlich weit weg zu sein, sodass es uns hier nicht möglich ist, aktuelle Informationen über die Sicherheitslage vor Ort zu bekommen.

Eine Woche brauchen wir, um nach unserem Segeltörn wieder auf die Beine zu kommen. Derweil genießen wir das abwechslungsreiche Kulturangebot in der bunten Hafenstadt. Der afro-karibische Einfluss ist nicht zu übersehen – und vor allem nicht zu überhören. Überall singen und tanzen Musikgruppen in den Gassen Cartagenas bis spät in die Nacht hinein.

Der Duft von frischen Arepas liegt in der Luft. Die für Kolumbien typischen Maisfladen werden in Cartagena mit Gemüse und Fleisch gefüllt und wie ein Döner gegessen.
An den Tagesrhythmus auf dem Land gewöhnt, schläft Mika den ein oder anderen Abend vorzeitig ein.

Die historische Altstadt hat ihren Charme, ist allerdings auch sehr touristisch. Es vergeht kaum eine Minute, in der wir nicht von fliegenden Händler*innen angesprochen werden. Verkauft wird hier alles von Hüten über Bootstouren bis hin zu Handyladekabeln – und wenn die Kinder gerade nicht dabei sind auch Sex und Drogen.

Eisverkäufer

Nach einer Woche haben wir genug Flair aufgesogen und fühlen uns bereit für das restliche Kolumbien. Wir treffen die letzten Vorbereitungen und machen uns auf den Weg zum Río Magdalena, wo uns eine ganz andere Welt erwarten wird.

Unsere Räder wollen nach der Überfahrt vom Salz befreit werden.
Marla und Mika bekommen eine Gelbfieberimpfung. In Kolumbien sind die Impfungen kostenlos – was für ein Segen für unsere Reisekasse, nachdem die letzte Impfung in den USA mit zweihundert US-Dollar zu Buche schlug.
Und Marilyne feiert mit uns ihren Geburtstag! 🙂
Aller Abschied fällt schwer. Danke Oralia und Osiris, dass Ihr uns in Kolumbien so herzlich willkommen geheißen habt!

Eine Antwort auf „Cartagena – Donde nadie frena por una cicla“

  1. Coucou Marilyne !! Comment vas-tu ? La boule à ta jambe s’atténue ? tu ne souffres pas trop ? Merci de nous donner de tes nouvelles.
    Gros bisous nous pensons bien à vous quatre.
    Huguette et Gaby

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