Guna Yala – ¡A toda vela rumbo a América del Sur!

Seit Stunden rollen wir nun schon von einer Seite unserer Koje auf die andere. Alle vier haben wir uns bereits mehrfach übergeben und fragen uns immer wieder, warum wir eigentlich nicht nach Kolumbien geflogen sind. Nachdem die erste Nacht unseres Segeltörns noch halbwegs erträglich war, türmen sich nun am nächsten Morgen zwei Meter hohe Wellen vor unserem Bullauge auf. Jedes Mal, wenn wir den Wellenkamm erreicht haben, bleiben das Boot und unsere Mägen kurz in der Luft hängen, bevor wir uns wieder in die Tiefe stürzen. Wir wissen, dass uns die frische Luft an Deck gut tun würde, haben aber nicht die Kraft, unsere Koje zu verlassen. Auch den gut gemeinten Hinweis, den Horizont zu fixieren, können wir nicht befolgen, weil dieser immer wieder hinter den Wellen verschwindet. Also schließen wir einfach die Augen und harren der Dinge. Segelromantik ist anders.

Im Hafen war den Kindern noch zum Lachen zumute. 😉

Auch vor dem Ablegen hatten wir keine romantischen Vorstellungen, sondern wussten halbwegs, worauf wir uns einließen. Die Seereise zwischen Panama und Kolumbien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Klassiker unter Backpacker*innen entwickelt, die den Darién nicht überfliegen wollen. Dabei gehen die Meinungen über den Törn sehr weit auseinander. Die Inselwelt Guna Yala, eine autonome Region innerhalb Panamas, in der das indigene Volk der Kuna lebt, soll traumhaft sein. Wir hörten allerdings auch viele abenteuerliche Geschichten über die raue See zwischen Guna Yala und der kolumbianischen Hafenstadt Cartagena sowie über betrunkene oder zugedröhnte Kapitän*innen.

Auf einer Fähre in Alaska haben wir ein radreisendes Pärchen kennengelernt, die in Panama ebenfalls den Seeweg nach Kolumbien wählten. In Guna Yala angekommen, hat sich ihr Kapitän mit seiner Ersten Maatin und Partnerin zerstritten und betrunken, woraufhin die Küstenwache das Schiff konsequenterweise mit einem Auslaufverbot belegte. Nachdem der Kapitän ihnen androhte, ihre Räder und ihr gesamtes Gepäck über Bord zu werfen und ihnen außerdem untersagte, sein Beiboot zu benutzen, mussten sie bis zu der Insel schwimmen, vor welcher sie ankerten und die Kuna um Hilfe bitten. Letztendlich haben sie die Bootsreise abgebrochen und sind nach Kolumbien geflogen.

Von den Geschichten gewarnt und verunsichert, wollten wir unser Segelboot möglichst sorgfältig auswählen. Zwei Wochen ließen wir uns mit der Suche nach dem passenden Schiff Zeit. Es war gar nicht so einfach, ein Boot zu finden, welches erstens Platz für Räder, Anhänger und viel Gepäck hat, zweitens kleine Kinder mitnimmt und drittens den Komfort einer eigenen Kajüte bietet, um gemeinsam als Familie zu reisen und während der fünftägigen Überfahrt einen Rückzugsort zu haben.

An den Freiraum beim Radreisen gewöhnt, hatten wir im Vorfeld sehr großen Respekt vor der Enge und eingeschränkten Bewegungsfreiheit auf einem Boot. Marla kann sich zwar auch lange mit Büchern und Puzzles beschäftigen. Mika braucht allerdings viel Auslauf.

Um bei der Bootsauswahl flexibler zu sein, trennten wir uns von unseren Rädern und dem Anhänger und schickten sie mit der Sovereign Grace nach Kolumbien vor. Einen Tag später hätten wir mit einem kleinen Boot hinterhersegeln sollen. Doch der Kapitän sagte uns kurzfristig ab, weil der Wetterbericht eine sehr unruhige Überfahrt prophezeite und er deswegen keine Kinder an Bord verantworten konnte. So blieben wir im Hafen von Portobelo zurück, während unsere Räder mit der Sovereign Grace und unsere Anzahlung mit dem kleinen Boot bereits nach Cartagena segelten.

Die Sovereign Grace, das größte Schiff der Panama-Kolumbien-Flotte, bot zwar ausreichend Platz für unsere Räder, aber leider nicht mehr für uns. Es war das erste Mal auf dieser Reise, dass unsere Drahtesel ohne uns loszogen.

Ein paar Tage später fanden wir im Nachbarhafen Puerto Lindo dann endlich das richtige Boot für uns. Die Zoe, ein siebzehn Meter langer Katamaran aus Aluminium, versprach verhältnismäßig viel Platz und im Vergleich zu Einrumpfbooten deutlich weniger Schaukeln bei hohem Wellengang. Der Katamaran wurde in Deutschland gefertigt, wo ihn unser argentinischer Kapitän Sebastián selbst abgeholt und dann die Elbe hoch und über den Atlantik gesegelt hat. Auch sein Erster Maat Fernando hatte bereits einige Seemeilen hinter sich, sodass wir uns in besten Händen fühlten und immer noch mit großem Respekt, aber schon deutlich beruhigter an Bord gingen.

„Die Lappen hoch, wir wollen sailen, hol an die Schoot, ohe! Sind viele tausend Meilen zu segeln über See.“

Vor diesem Törn beschränkte sich meine Segelerfahrung auf einen einwöchigen Ausflug mit einem historischen Plattbodenschiff über das IJsselmeer, auf welchen ich vor zehn Jahren eine Pfadfindergruppe begleitet habe. Marilyne und die Kinder haben den sicheren Hafen noch nie auf einem Segelboot verlassen. Bootsfahrten sind zwar durchaus regelmäßiger Bestandteil unserer Reise geworden. Allerdings haben wir auf unserem Weg durch Nord- und Zentralamerika bislang ausschließlich mit Fähren und Motorbooten übergesetzt. Wir werden bald merken, dass ein Segelboot keine Fähre ist und die Karibik nicht das IJsselmeer.

In Alert Bay (Kanada) luden uns Cathy & Eric zum Abendessen auf ihr Boot ein und wir lauschten ihren eindrucksvollen Erzählungen von der Durchsegelung der Nordwestpassage.

Zum Glück soll der erste Morgen der unangenehmste Teil unserer Überfahrt nach Cartagena bleiben. Letztendlich ist es nicht das offene Meer zwischen Guna Yala und Kolumbien, welches unsere Mägen am meisten herausfordert, sondern die kurzen Wellen vor der Küste Panamas. Da der Ozean hier lediglich vierzig Meter tief ist, jagt eine Welle die nächste – im Gegensatz zum offenen Meer, wo es drei Kilometer in die Tiefe geht, weswegen der Abstand zwischen den Wellen bei Weitem größer ist und unser Boot somit langsamer auf- und absteigt.

Endlich werfen wir den Anker in Guna Yala! 🙂

Nach fünfzig Seemeilen (knapp einhundert Kilometern) kehrt schlagartig Ruhe ein und wir wagen einen Blick nach draußen. Völlig unvermittelt taucht vor unserem Bullauge die Insel Chichime auf. Wir sind in Guna Yala angekommen und haben das Paradies erreicht. Türkisblau schimmert das Meer vor uns und Kokospalmen säumen den feinen Sandstrand – Karibik wie aus dem Hochglanzkatalog.

Sanft wiegt sich unser Katamaran vor den Inseln.

In Mexiko und Zentralamerika haben wir bereits einige Strände gesehen, aber keiner war so idyllisch wie diese Inseln. Die Natur in Guna Yala ist nicht unberührt, aber aufgrund der abgeschiedenen Lage und vor allem dem Engagement der Kuna hält sich der Besucheransturm in Grenzen. Die Kuna kontrollieren den Tourismus in ihrer Region und konnten ausländische Investor*innen bislang erfolgreich abweisen und ihr Territorium so vor dem Massentourismus bewahren. Statt großen Hotelanlagen prägen kleine Hütten die Inselwelt.

Von den 365 Inseln sind ungefähr 50 bewohnt.
Auf der Insel El Porvenir, wo unsere Reisepässe gespempelt werden, wohnen lediglich ein Dutzend Menschen.
Tourist*innen müssen zwanzig US-Dollar Eintritt an die Kuna zahlen, um ihre autonome Region betreten zu dürfen. In Panama (wie auch in El Salvador) ist der US-Dollar offizielle Landeswährung. Doch wie kommt der Dollar trocken auf die Insel?

Da gemäß den lokalen Gesetzen lediglich Kunas im Tourismussektor Guna Yalas arbeiten dürfen, bewegen sich die Segelboote mit ihrer ausländischen Besatzung in einer Grauzone. Sie bieten offiziell nur den Transport zwischen Panama und Kolumbien an. Ohne den touristischen Aufenthalt in Guna Yala würden jedoch vermutlich die wenigsten Backpacker*innen auf ein Boot steigen.

Die Kunas sind an die Segelboote vor ihren Inseln gewöhnt und nähern sich mit ihren Kanus oder Motorbooten, um frischen Fisch oder Eis für die Kühlbox zu verkaufen.
Marla präsentiert den Fang des Tages …
… den unser Erster Maat Fernando in der Kombüse frisch zubereitet.
Zu unserer Reisegruppe gehören außerdem noch zwei deutsche und ein schwedisches Pärchen.
Uns ist nach der bewegten Überfahrt noch nicht nach Essen zumute. Um das flaue Gefühl im Magen loszuwerden, springen wir erst einmal ins Wasser.

Drei Tage hüpfen wir mit unserem Segelboot von einer Insel zur nächsten. Wir ankern vor den Inseln, schwimmen an Land, ruhen uns in der Hängematte aus und schwimmen zum Essen wieder zurück zur Zoe. Das Leben ist schön in Guna Yala.

Insel Banedup
Nur die Kinder stören die Ruhe. 😉
Also schicken wir sie eine Runde um die Insel.
Ach, wenn doch nur jeden Tag Guna Yala wär. 🙂

Allerdings sind drei Tage viel zu kurz, um mit den Kuna wirklich in Kontakt zu kommen und etwas über ihre Kultur zu lernen. Uns schwirren viele Fragen in den Köpfen herum: Wie organisieren sich die Kuna politisch und wie autonom sind sie dabei wirklich? Wie lebt es sich auf so engem Raum miteinander und wie verteilen sich die Rollen? Wie passt es zusammen, dass die Frauen die Familienoberhäupter bilden, die Männer nach der Hochzeit zu ihrer Frau ziehen, aber die meisten lokalen Autoritäten trotzdem Männer sind? Wie kommt es, dass innerhalb der indigenen Gemeinschaft Omeggid (wörtlich „wie eine Frau“) ihren Platz finden, während in unseren europäischen Gesellschaften die LGBT*-Gemeinschaft diskriminiert wird?

Die brennende Frage aller deutschen Tourist*innen in Guna Yala lautet: Warum verwenden die Kuna ein (nach links zeigendes) Hakenkreuz auf ihrer Revolutionsfahne? Die Swastika soll einen Oktopus symbolisieren, der gemäß der Kosmovision der Kuna die Welt erschaffen hat.

Fragen über Fragen, auf die wir in der kurzen Zeit keine Antwort finden werden. Guna Yala gehört zu den Orten auf unserer Reise, wohin wir sicherlich noch einmal zurückkommen werden. Wenngleich die paradiesische Fassade bei näherer Betrachtung womöglich an der ein oder anderen Stelle bröckelt, übt dieser Ort eine unglaubliche Faszination auf uns aus.

Insel Waisaladup
Da das Riff vor der Insel die Wellen bricht, ist das Meer hier fast spiegelglatt.
Das nächste Mal bringen wir ein ganzes Jahr Zeit mit – für jede Insel einen Tag. 😉

Doch vorerst ruft uns unser Kapitän Sebastián zurück an Bord. Wir haben noch zweihundert Seemeilen (fast vierhundert Kilometer) offenes Meer bis nach Cartagena vor uns. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von sieben Knoten (was mit umgerechnet ca. dreizehn Stundenkilometern unserer üblichen Reisegeschwindigkeit entspricht) brauchen wir für die Strecke eine Nacht, einen ganzen Tag und noch eine weitere Nacht.

Mit vollen Segeln auf nach Südamerika!

Die windige Jahreszeit macht die Überfahrt nicht einfacher. Wir haben jedoch nicht nur den Wind, sondern auch die Strömung gegen uns, sodass wir neben den Segeln auch auf den Motor angewiesen sind. Um keinen allzu magenunkompatiblen Kurs zu fahren, steuert Sebastián die Zoe zunächst gen Osten. Erst kurz vor der kolumbianischen Küste drehen wir nach Norden und nehmen direkten Kurs auf Cartagena.

Sebastián bietet uns für die Fahrt über das offene Meer eine Koje über Deck an, was wir dankend annehmen. So verbringen wir die meiste Zeit liegend, aber an der frischen Luft.
Der nächste Morgen hält eine schöne Überraschung für uns bereit. Sebastián nimmt Mika mit bis nach ganz vorne an den schwungvoll auf- und absteigenden Bug …
… wo uns ein Dutzend Delfine begleiten.
Eine ganze Weile schwimmen sie neben dem Boot her.
Kein Land mehr in Sicht.
Alles schaukelt.
Am zweiten Abend beruhigt sich das Meer kurzzeitig, sodass wir sogar ein wenig Appetit verspüren und eine Kleinigkeit essen.
Wie so oft verkraften die Kinder das Abenteuer weitaus besser als wir. Zwar müssen sie sich öfter übergeben, essen aber danach ungestört weiter. 😉

Nach dreiundreißig langen Stunden erreichen wir am nächsten Morgen endlich ruhige Gewässer im Hafen der Millionenstadt Cartagena. Was für ein Kontrast!

Sonnenaufgang über den Wolkenkratzern
Abschied von Fernando und Sebastián
Fernando bringt uns im Beiboot an Land.
Unsere Räder und der Anhänger warten bereits auf der Sovereign Grace auf uns. Auch unsere Anzahlung ist sicher angekommen.
Wir sind froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. In der ersten Nacht an Land wird alles noch ein bisschen schaukeln, sodass wir auf einen Trick aus unserer Jugend zurückgreifen müssen und mit einem Fuß neben dem Bett ankern. 😉

Was wir im Vorfeld bereits geahnt haben, wissen wir nun mit Bestimmtheit. Wir sind definitiv weder Seefrauen noch Meerjungmänner. Aber dass wir uns nach vierzehntausend geradelten Kilometern einfach in den Flieger setzen, nur weil hundert Kilometer Straße fehlen, wäre auch keine Option gewesen. 😉 Wir haben es geschafft und gehen wackligen Fußes, aber glücklich an Land. Ein neuer Kontinent liegt vor uns und will entdeckt werden. Na denn man tau! 🙂

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