„Oh, wie schön ist Panama!“ * Was unsere Kinder schon lange wussten, hat uns Erwachsene gehörig überrascht. Wir reisen auf der karibischen Seite nach Panama ein und erleben das Land hier ganz anders, als wir es uns vorgestellt hatten.
Die Provinz Bocas del Toro ist sehr ländlich geprägt. Wir radeln durch viele indigene Dörfer und lernen, dass hier Bribri, Buglé, Naso und Ngöbe leben. Wie so oft sind es die Frauen, die die Traditionen aufrecht erhalten und an ihren Trachten zu erkennen sind. Wir wollen wissen, ob sie auch noch ihre eigenen Sprachen pflegen oder ob diese wie bei den Lenca in Honduras bereits ausgestorben sind. Als Antwort hören wir oft, dass die hier ansässigen indigenen Völker ihre eigenen Dialekte sprechen würden. Dialekte meint jedoch nicht etwa verschiedene Varianten einer Sprache, sondern vielmehr werden mit diesem Begriff die indigenen Sprachen in ganz Lateinamerika degradiert. Die Bezeichnung als Dialekt suggeriert, dass die indigenen keine eigenständigen und vollwertigen Sprachen wären. Diese Annahme ist so tief gesellschaftlich verankert, dass sie zuweilen auch von den Indigenen selbst übernommen und reproduziert wird.
Die Menschen leben hier von der Vieh- und Landwirtschaft. In ihren Gärten bauen sie wie auf den großen Plantagen Ananas, Bananen und Zuckerrohr an. Darüber hinaus wachsen hinter den Häusern Grapefruits, Kakao, Kokospalmen, Mangos, Maniok, Orangen, Papayas, Sapote und Zitronen.
Zwischen den landwirtschaftlich genutzten Flächen existiert noch erstaunlich viel Wald. Wir passieren einige bewirtschaftete Wälder, in denen u.a. Teakbäume gezogen werden. Das Tropenholz findet vor allem im Bootsbau Verwendung, weil es sehr rutschfest, wasserbeständig und pilzresistent ist. Neben den Nutzholzplantagen gibt es aber auch noch relativ viel unbewirtschafteten Regenwald. Panama empfängt uns von seiner grünen Seite und – für uns als radreisende Familie ein entscheidendes Kriterium – mit wenig Verkehr. Zwar hupen uns die wenigen Autos wieder von hinten an und auf den ersten Kilometern wird unsere Fahne am Anhänger gleich zweimal berührt, was uns an Nicaragua zurückdenken lässt. Beide Mal zeigen die Autofahrer jedoch ihr schlechtes Gewissen und halten an. Das ist uns bisher noch nie passiert. Sie behaupten unisono, dass sie Fahrräder auf der Straße nicht gewöhnt seien. Ob dies als Ausrede gilt, uns über den Haufen fahren zu dürfen, sei dahin gestellt. Wir beobachten jedoch noch einige Male, wie die einheimischen Radfahrer*innen fluchtartig die Fahrbahn verlassen, sobald sich ihnen ein Auto nähert.
Wir machen einen Abstecher auf die gleichnamige Inselgruppe Bocas del Toro. Was für ein Kontrast: Im Gegensatz zur restlichen Provinz sind die Inseln einer der touristischsten Orte in ganz Panama. Wie viele andere Orte an der zentralamerikanischen Karibikküste hat auch Bocas del Toro ein Drogen- und damit einhergehend ein Kriminalitätsproblem. Wir mischen uns nicht ein, sondern unter die Tourist*innen und entspannen ein paar Tage an den Stränden des Archipels.
Um zu erfahren, ob Panama wirklich von oben bis unten nach Bananen riecht, müssen wir auch nach ganz oben. Wir wollen noch ein letztes Mal die zentralamerikanische Kordillere überwinden, die die grüne Karibik- von der trockenen und heißen Pazifikküste trennt.
Auf der anderen Seite der Kordillere wartet die Panamericana auf uns, die hier in Panama über lange Strecken alternativlos ist. Die ersten Kilometer gleiten wir auf einem frisch asphaltierten Seitenstreifen dahin. Dieser Abschnitt der Panamericana wurde erst vor wenigen Monaten als zweispurige Schnellstraße ausgebaut. Landschaftlich ist die Strecke ungefähr so aufregend wie auf der A20 vom Kreuz Uckermark an die Ostsee zu radeln. Nachdem wir aber seit Honduras überwiegend auf schmalen Straßen unterwegs gewesen sind, genießen wir es, nicht ständig auf den Verkehr achten müssen. Wir sind lange nicht mehr so gedankenlos pedaliert und erlauben uns sogar auf einem Ohr Musik zu hören.
Die einzige Aufregung erwartet uns in den Städten und auf Brücken, wo der Seitenstreifen fehlt und wir die mulas (Maultiere), wie in Panama die 40-Tonner genannt werden, in die linke Spur schicken müssen. Da sich der Verkehr in Grenzen hält, quittieren sie unser Gesuch meistens mit freundlichem Winken und Hupen.
Beim Blick auf die Karte stellen wir überrascht fest, dass wir nun gar nicht mehr nach Süden, sondern vielmehr nach Osten radeln, weswegen wir bereits auf den ersten morgendlichen Kilometern unsere Sonnenbrillen aufsetzen müssen. Um der Hitze zu entgehen, strampeln wir a la mexicana und versuchen bereits in den frühen Morgenstunden Strecke zu machen. Wenn es dann ab zehn Uhr unangenehm heiß wird, halten wir für eine ausgiebige siesta z.B. an einem Fluss an. In den späten Nachmittagsstunden treten wir dann noch einmal in die Pedalen – oder auch nicht. 😉
Die Nebenstrecke über Soná ist unter Radwander*innen schon lange kein Geheimtipp mehr, aber immer noch eine angenehme Abwechslung zur Panamericana.
In Santiago kommen wir zurück auf die Panamericana und die nächsten zweihundert Kilometer gehören zu den Strecken, die getrost mit den Bus zurückgelegt werden könnten – wenn Busfahren mit unserem ganzen Gepäck nicht so kompliziert und wir nicht kurz davor wären, einen ganzen Kontinent aus eigener Muskelkraft zu durchqueren. McDonalds reihen sich an shopping malls wie in Gringolandia. Wir finden sogar einen richtigen RV Park – den ersten, seitdem wir Kalifornien verlassen haben. Der einzige Trost ist der Seitenstreifen, der uns sicher neben dem mittlerweile unangenehmen Verkehr radeln lässt. Allerdings ist dieser mit alten Autoreifen übersät, deren Drähte sich in unsere Schläuche bohren und unsere Pannenstatistik enorm nach oben treiben. Im Schnitt haben wir auf der Panamericana alle siebzig Kilometer einen Platten! Zum Vergleich: Den ersten Plattfuß an einem unserer Räder hatten wir nach dreitausendsiebenhundert Kilometern in Washington.
Während wir auf einem Parkplatz vor einer dieser shopping malls unseren Einkauf in den Radtaschen verstauen, ruft uns zum zweiten Mal – aber diesmal Englisch – jemand zu:
„You are almost there!“
„Where?“
„At the end of the road!“
Der nördliche Teil der Panamericana endet im berühmten Darién Gap. Zwischen Panama und Kolumbien gibt es bislang keine Straßenverbindung, sodass auf dem Landweg für die allermeisten hier Schluss ist. Es ist zwar durchaus möglich, über Pfade und Flüsse den Dschungel zu durchqueren, allerdings ist das kein Abenteuer für eine schwer beladene, radreisende Familie. 😉 Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Lücke zwischen den beiden Ländern geschlossen wird. In der spanischen Bezeichnung Tapón del Darién (Darién-Stöpsel) schwingt schon die Angst mit, dass eben dieser Stöpsel irgendwann gezogen wird. Wir respektieren gern, dass es auf dieser Welt immer noch Orte gibt, an denen (abgesehen von ein paar gueriller@s und narcos) die Natur regiert und diese Lebensraum für die indigenen Völker bietet.
Die einfachste und schnellste Variante den Darién zu überwinden, wäre zu fliegen. Da Fliegen allerdings der Idee unserer Reise widerspricht und wir außerdem nie den einfachsten Weg wählen, entscheiden wir uns, mit dem Boot nach Südamerika überzusetzen. Es gibt Frachtschiffe, die entlang der Pazifikküste bis nach Buenaventura in Kolumbien fahren. Auf dieser Route müssten wir jedoch mehrmals umsteigen, eventuell sehr lange auf das nächste Schiff warten und in Kolumbien in einer nicht so sicheren Region an Land gehen. Deshalb biegen wir von der Panamericana ab und radeln zurück in die Karibik, um dort ein Segelboot zu suchen, welches uns nach Cartagena mitnimmt. Auf kleinen Nebenstraßen umfahren wir den Verkehr zwischen Panama-Stadt und Colón.
¡Vamos llegando! Mit dem Kanal erreichen wir auch den Isthmus von Panama. Die Landenge trennt die Kontinente Nord- und Südamerika. Nach über vierzehntausend Kilometern und zehn durchquerten Ländern haben wir tatsächlich einen ganzen Kontinent erradelt! 🙂 Wir kämpfen uns noch durch den Verkehr auf der Ausfallstraße Colóns, bevor sich Panama auf den letzten Kilometern mit einem radeltechnischen Highlight von uns verabschiedet. Entlang der Karibikküste gelangen wir auf einer nur mäßig befahrenen Nebenstraße in die kleine Hafenstadt Portobelo, wo für uns der Kontinent und damit auch das Kapitel Zentralamerika endet. Hier wollen wir die Überfahrt nach Kolumbien organisieren.
In Portobelo nehmen wir auch wieder unsere Wintersachen in Empfang, welche wir Katerine & Roland in Guatemala auf ihrem Katamaran mitgegeben haben. Unser Zelt haben wir bereits in Costa Rica wieder eingesammelt. Rückblickend sind wir sehr froh darüber, durch Zentralamerika ein bisschen leichter unterwegs gewesen zu sein.
Dank Janosch wussten wir schon vor der Reise, wo Panama ungefähr liegt. Darüber hinaus war das Land für uns bislang vor allem ein Steuerparadies, durch welches die USA diesen großen Kanal gegraben haben, damit ihr Geld besser fließt. Wir wussten nicht viel mehr über Panama, aber so wie den kleinen Tiger und den kleinen Bär hat auch uns die Neugierde hierhergetrieben. Es sind die Gespräche am Wegesrand mit unbekannten Menschen, die Lust am Entdecken von fremden Kulturen und die Suche nach dem Abenteuer, die uns in die Ferne ziehen. Mit dem Rad zu reisen ermöglicht uns Mensch und Natur hautnah zu erleben. Das Fahrrad bringt uns an Orte, an denen wir sonst nie anhalten würden, wie z.B. das kleine Restaurant neben dem Nachtclub an der Panamericana, wo wir in familiärer Atmosphäre mit den Tänzerinnen des Etablissements frühstücken und einen Einblick in das harte Arbeitsleben der (überwiegend kolumbianischen) Migrantinnen bekommen. Wir begegnen in Panama vielen Kolumbianer*innen und Venezolaner*innen. Panameñ@s hingegen haben wir außerhalb von Panama so gut wie nie getroffen. Es geht ihnen (und den Costa Ricaner*innen) offensichtlich besser als ihren Nachbar*innen.
Doch während wir durch die Ferne reisen, ist die Ferne immer dort, wo wir gerade nicht sind. Wenn wir zu lange an einem Ort bleiben, entdecken wir unweigerlich auch Dinge, die uns nicht gefallen. Am Schönsten ist es immer Woanders. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir auch vor etwas wegradeln – auf der Suche nach unserem Panama. Der kleine Tiger und der kleine Bär mussten sich auch erst auf einen weiten Weg machen, bevor sie ihr Panama in ihrem alten Zuhause finden. Ein aufmerksamer Leser hat behauptet, dass unser Panama eigentlich Guatemala sei, was nicht ganz abwegig ist. Nicht umsonst war Guatemala das erste Etappenziel unserer Reise und wären wir noch ein bisschen länger dort geblieben, wären wir womöglich nicht mehr weitergeradelt. Je länger Du an einem Ort verweilst, desto schwerer fällt der Abschied, bis Du Dich irgendwann gar nicht mehr trennen kannst. Wenn Dich die Lehrerin Deiner Kinder beim Namen kennt, ist es zu spät. Guatemala war einer der Orte, wo dieses Risiko am höchsten war. Alaska wäre sicherlich auch so ein Ort gewesen, wenn unsere Reise dort nicht begonnen hätte.
Auch wenn wir unser Panama noch nicht gefunden haben, freunden wir uns so langsam aber sicher mit dem Gedanken an, dass unsere Reise irgendwann enden muss. Die Schulpflicht rückt unaufhaltsam näher und damit der Zeitpunkt, zu dem wir (zumindest vorübergehend) sesshaft werden wollen. Grundsätzlich könnten wir uns zwar auch roadschooling vorstellen, allerdings erst nach einer Pause. Radreisen bedeutet für uns Freiheit pur und ist ein großartiges Lebensgefühl. Doch so aufregend die Reise oft ist, kann das Nomadenleben manchmal auch anstrengend sein. Es ist nicht immer einfach, radreisende Eltern zu sein und die physische Herausforderung des Radelalltags mit den pädagogischen Ansprüchen unter einen Hut zu bringen. Die Kinder beschweren sich nicht, aber wir beobachten, dass ihnen die Sozialisierung in einer Gruppe gut tun würde. Marilyne hat in Mexiko und Zentralamerika ihre physischen Grenzen erfahren. Die Hitze, steile Straßen, schweres Gepäck und vor allem Marlas Fahrrad haben ihr sehr zu schaffen gemacht – und nicht zuletzt auch die Entfernung zu Familie und Freund*innen in Europa. Ich könnte gefühlt noch jahrelang weiterradeln, möchte aber auch nicht die Ausfahrt nach Panama verpassen.
So viel sei an dieser Stelle verraten: Unsere Entscheidung ist pragmatisch und unromantisch. Wir werden zurück nach Berlin kommen, weil es logistisch am einfachsten ist. Unsere Wohnung wartet auf uns und wir haben noch Kontakt zur Kita. Vielleicht finden wir sogar wieder eine sinnstiftende Lohnarbeit. Wir werden einen Ort brauchen, an dem wir eine Rast einlegen, die Ketten ölen und unsere Batterien wieder aufladen können. Da bietet sich so ein gemachtes Nest mit Stromanschluss natürlich an. Im Gegensatz zu der Geschichte vom kleinen Tiger und dem kleinen Bär wird in Berlin jedoch vermutlich nicht alles „ganz anders und viel größer“ *, sondern beim Alten sein. Weswegen uns auch klar ist, dass Berlin nicht unser Panama werden wird, sondern voraussichtlich nur eine Zwischenstation, von der aus wir nach alternativen Lebensformen Ausschau halten wollen.
Die Entscheidung ist gefällt. Wir kommen zurück. Aber? Noch nicht dieses Jahr! Und vor allem nicht im Winter. 😉 Wir wollen die vollen drei Jahre bis zu Marlas Einschulung auskosten und erst im nächsten Sommer eine Punktlandung hinlegen. Doch bevor wir zurück in unsere Komfortzone schlüpfen – aus der es mit jedem Mal schwieriger werden wird, auszubrechen – wollen wir noch ein paar Abenteuer in Südamerika erleben! Kolumbien, wir kommen! Schiff ahoi!! 🙂
„Du meinst, dann hätten sie doch gleich zu Hause bleiben können? Du meinst, dann hätten sie sich den weiten Weg gespart? Oh nein, denn sie hätten den Fuchs nicht getroffen und die Krähe nicht. Und sie hätten den Hasen und den Igel nicht getroffen und sie hätten nie erfahren, wie gemütlich so ein schönes weiches Sofa aus Plüsch ist.“ *
(* Janosch – „Oh, wie schön ist Panama“)
Hallo zusammen 🙂
das Lesen hat viel Spaß gemacht, genießt den Rest eures Abenteuers und wir freuen uns auf euch, Platz ist reserviert 🙂 Bald gibt es auch wieder ein Protokoll per Mail
Danke!! 🙂 Der Platz wird uns das Ankommen enorm erleichtern…
Hallo Ihr Lieben. Ich lese zu gerne mit was Ihr erlebt, es ist ein schönes Bild das Ihr uns, das Ihr mir gebt als “in Berlin gebliebene” Eure Entscheidung zurück nach Berlin zu kommen, egal für wie lange, ist für mich als hier lebende schön zu hören und gleichzeitig verstehe ich das es super schwer sein wird… und jaaaaa, ich würde auch erst im Sommer zurück kommen. Genießt die letzte Zeit, genießt die Fremde, die Sonne um am meisten Euch und Euere Gemeinsamkeit. Ganz ganz liebe Grüße aus Berlin, aus der Hektik, aus dem Beginn des Frühlings, dem fast durchgehendem Strom, einem funktionierenden Verkehrssytem und aus der Hängematte die wieder vom Wohnzimmer auf den Balkon umgezogen ist. Eure Carola
Auch Ihr Lieben, “in Berlin Gebliebenen” werdet uns das Ankommen sehr viel leichter machen. Wir freuen uns schon, Euch nach so langer Zeit endlich wiederzusehen! 🙂